Als im März letzten Jahres das Coronavirus und die Maßnahmen zu dessen Bekämpfung den Kulturbetrieb lahmlegten, begann eine breite Diskussion über die Rolle von Kunst und Kultur in unserer Gesellschaft. Die konsequente Schließung der Kulturstätten machte deutlich, dass diese politisch gesprochen nicht systemrelevant ist.
Die Kultur und ihre Rolle in der Gesellschaft sowie auch die Bedeutung der Kreativschaffenden wurde zu einem der zentralen Themen während der Pandemie. Die Forderungen zur erneuten Öffnung des Kulturbetriebs wurden dabei weniger wirtschaftlich, als vielmehr gesellschaftlich argumentiert. Kultur ist nicht einfach nur Genuss und Zeitvertreib, sie ist die Infrastruktur unseres sozialen Lebens.
Milan Skrobanek war zu dieser Zeit mitten in den Dreharbeiten zu seinem Dokumentarfilm “Wir und die Kunst”. Schon lange vor Corona hatte er sich die Frage nach der Bedeutung von Kunst und Kultur für die Gesellschaft, aber auch für sich selbst als Kreativschaffenden gestellt. Für den Film begleitet Milan vier Künstler*innen in ihrem Arbeitsalltag und interviewt diese zu ihrem persönlichen Verhältnis zu Kunst und Kultur sowie ihrem eigenen Schaffen. Die Vier sind keine Unbekannten: zu sehen sind der Liedermacher, Schriftsteller und Maler Funny van Dannen, die Kabarettistin Sarah Bosetti, der Filmemacher Jan Georg Schütte und die Graffitikünstlerin Mad C.
Im dritten Akt des Films kommt ungefragt ein weiterer Hauptdarsteller hinzu: Corona.
Künstler*innen sind nicht überflüssig, aber…
Der Film dokumentiert nicht nur das künstlerische Schaffen der vier Künstler*innen, sondern auch ihre inneren Konflikte und Zweifel bezüglich der eigenen Arbeit. Immer wieder geht es um die Relevanz der eigenen Werke und deren Wert für die Gesellschaft. “Künstler sind nicht überflüssig, aber Unternehmer sind viel wichtiger”, singt Funny van Dannen einen seinen bekannten Songs im Film. Das ist natürlich witzig und selbst ironisch, trifft aber auch den Kern einer Künstleridentität und die damit verbundenen Sinnkrisen.
Das kennt auch Mad C. Im Film erzählt sie:
„Ich habe mindestens zwei mal im Jahr eine Krise, wo ich sage, dass das, was ich mache, eigentlich überhaupt keine Relevanz hat.“
Milan Skrobanek dokumentiert in “Wir und die Kunst” nicht nur. Durch die vier Protagonist*innen kommen auch seine eigenen Zweifel, Krisen und Sorgen zum Ausdruck, die ihn als Kreativschaffenden seit jeher begleiten:
“Wenn du von der Kunsthochschule kommst, hast du diese idealistische Vorstellung, dass du mit deiner Kunst die Welt besser machen wirst. Und dann merkst du, dass das naiv war, weil du dich immer mehr verkaufst. Das hat mich zeitweise sehr frustriert. Bei “Wir und die Kunst” wollte ich durch den Austausch mit anderen Künstler*innen erfahren, ob die auch solche Phasen haben, ob sie auch die Daseinsberechtigung ihrer Kunst infrage stellen und wie sie damit umgehen. Das war der Hintergedanke; der gesellschaftliche Sinn von Kunst und Kultur.”
Die Unmittelbarkeit des Dokumentarfilms
Der Filmemacher ist in Ahlem im Münsterland geboren und aufgewachsen. 2007 ging er dann nach Hamburg, um dort nach seinem Zivildienst Film an der Hochschule für Bildende Künste zu studieren. Dort ging es weniger um Leistungsnachweise und Noten, als vielmehr um die persönliche und künstlerische Weiterentwicklung der Studierenden. Es wäre also kein klassisches Filmstudium, sondern eher ein kunst-philosophisches Studium gewesen, erzählt Milan. Dass seine Abschlussarbeit – „Die Chinesen Europas“ – ein Dokumentarfilm wurde, für den er das Deutsche Tischtennis-Team während der WM 2012 in Dortmund begleitete, war eher Zufall.
“Bis zum Zeitpunkt meiner Abschlussarbeit hatte ich mich noch gar nicht mit dem Thema Dokumentarfilm auseinandergesetzt. Ich wollte immer nur Spielfilme machen, wie alle jungen Leute an der Uni. Weil ich dann aber etwas über Tischtennis machen wollte, um meine eigene sportliche Vergangenheit aufzuarbeiten, kam das Spielfilmformat nicht infrage. Du kannst Schauspieler*innen einfach nicht auf das sportliche Level bringen, das ich im Film darstellen wollte.”
Während der Dreharbeiten für “Die Chinesen Europas” war Milan dann aber sehr fasziniert von der Unmittelbarkeit des Formats, die in der intensiven Arbeit und der persönlichen Nähe zu den Protagonist*innen entsteht. Indem Milan diese filmisch umzusetzen versuchte, konnte er auch seine eigene Vergangenheit und Geschichte mit dem Sport aufarbeiten:
“Das ist der große Luxus meines Jobs, dass du deine eigene Aufarbeitung festhalten und einen Film draus machen kannst.”
“Wir und die Kunst” folgt genau dieser Idee. Milan hoffte, sein eigenes Verhältnis zur Kunst und seinem kreativen Schaffen und die damit verbundenen Zweifel besser verstehen zu können. Und so suchte er erneut die Unmittelbarkeit des Dokumentarfilms, um sich selbst etwas näher zu kommen. Ob sich Milan durch den Film auch selbst repräsentiert fühle, bejaht dieser sofort:
“Ja, ich fühle mich durch den Film repräsentiert. Und es wärmt mir das Herz, wenn ich diese in ihren Bereichen extrem bekannten Künstler*innen und bei ihnen dieselben seelischen Dämonen kreisen sehe, die auch mich die letzten Jahre begleitet haben. Und das ist von Anfang bis Ende so. Ich bin natürlich auch der, der die Fragen gestellt hat. Also wenn man den Film guckt, dann weiß man schon relativ viel über mich, obwohl ich als Figur in dem Film nicht auftauche. Da steckt auf jeden Fall mehr von mir drin als von den Vieren, die tatsächlich zu sehen sind.”
Corona-Blues
Die Pandemie und die Maßnahmen zur ihrer Bekämpfung haben dem Film und seinen Fragen zur Bedeutung von Kunst und Kultur eine gewisse Dringlichkeit und Brisanz verliehen. Als die Pandemie im März 2020 den ersten Lockdown forderte, waren die ersten zwei Akte des Dokumentarfilms bereits abgedreht. Ein dritte Akt sollte noch folgen, der dann jedoch vorerst nicht realisiert wurde.
“Als dann Corona kam haben wir erstmal sechs Monate blöd aus der Wäsche geguckt. Und dann ist mir bewusst geworden, dass das jetzt für das Thema genau das Ding ist und dass man diesen Film natürlich jetzt zu ende machen muss, aber mit Corona. Ich hätte ja keinen Film über das Thema Kunst und Kultur rausbringen können, ohne das zu thematisieren. Dann haben wir uns aufgerappelt und uns mit den Vieren einen dritten Akt überlegt.”
Ungewollte Dramatik
So dokumentiert “Wir und die Kunst” ganz ungewollt das geschichtlich wohl bedeutendste Ereignis seit 9/11 und wird zum filmischen Ausdruck einer Kollektiverfahrung. Der Film erhält dadurch eine besondere Stimmung, weil er selbst von dem überrascht wurde, was er gleichzeitig thematisiert.
“Wenn mir vor Corona jemand gesagt hätte” so Sarah Bonetti im Film, “es wird bald etwas passieren, das deinen Beruf im Grunde unmöglich macht, dann wäre mir nichts eingefallen, was das hätte sein können.”
Milan gelingt es, die Unmittelbarkeit zwischen ihm und den vier Protagonist*innen filmisch einzufangen und erzeugt damit eine gewisse Dramatik im eigentlich Sinn. Denn die Zuschauer*innen wissen was passieren wird, dass Corona alles verändert und Existenzen bedrohen wird, dass uns zeitweise der analoge Raum des Kulturellen abhanden kommen wird. Die vier Künstler*innen wissen es in den ersten zwei Dritteln des Film nicht, reden aber trotzdem über das, was uns seit Corona so dringlich beschäftigt: die Bedeutung von Kunst und Kultur in unserer Gesellschaft. Und beim Schauen des Films wird klar, wie wichtig die Arbeit der Kreativschaffenden ist.
„Wir und die Kunst“ gibt es als Stream bei Amazon, Vimeo, iTunes und GooglePlay oder auf DVD. Alle Infos dazu hier.
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