Während sich das januar-graue Berlin noch von den Silvesterstrapazen zu erholen scheint, findet alle Jahre wieder für fünf Tage lang im Haus der Kulturen der Welt ein kritischer Diskurs an der Schnittstelle zwischen Kunst, Wissenschaft und Technik statt: die transmediale.
1988 gestartet als Begleiterscheinung zur Berlinale mit dem Schwerpunkt Video-Kunst, hat sich das Festival durch dynamische Entwicklungsprozesse hindurch zum Melting Pot der digitalen Kultur von internationaler Reputation gemausert. Heute gilt sie als Aushängeschild eines kreativen Berlins, das nicht nur der Medien- und Kreativbranche eine Heimat gibt, sondern auch der wissenschaftlichen Exzellenz.
Ein ganzes jahr digitale kunst
2021 ist jedoch alles etwas anders. Corona lässt grüßen. Statt der fünf Tage im Januar, gibt es dieses Jahr erstmals 365 Tage. Anstelle eines festlichen In-Person-Empfang im HKW, gibt es den Almanac, wo browserbasierte Kunstwerke, Filme, Lectures, Texte und viele mehr im Laufe des Jahres veröffentlicht und on demand zur Verfügung stehen werden. Anstatt die Ausstellung Rendering Refusal analog besuchen zu können, geht dies ab 15. Februar (vorerst) nur digital über einen Proxy-Visit, also via Video-Call mit einem Guide, der individuell durch die Ausstellung führt. Doch was sich pandemie-intuitiv als Einschränkung und Kompromiss liest, ist mehr als das. Tatsächlich hat die transmediale mit dem neuen Konzept nicht nur die Krise, sondern geistesgegenwärtig auch den Zeitgeist gelesen und darauf mit digitalen Lösungen reagiert, wie die künstlerische Leitung Nora O Murchù in ihrem Grußwort erklärt: „In den letzten Jahren haben wir das Tempo infrage gestellt, mit dem wir Kulturprodukte herstellen und konsumieren und zu welchen Teilen dies von digitalen Technologien beeinflusst ist. Das Festival auf ein Jahr auszudehnen, ist ein Experiment mit verstärkt nachhaltigen kulturellen Praxen, die einem langsamen Lernen und Verstehen Raum geben sollen.“
die vielfalt politischer praxen der verweigerung
Das Motto for refusal hebt nicht auf Verweigerung im Sinne vom Nichts-Tun ab, sondern benennt einen proaktiven Akt der Kritik und des Protestes. Denn wenn Macht gemäß Bruno Latour bedeutet, dass es gerade die Anderen sind, die eine Handlung ausführen, entfaltet die Verweigerung ihr Potential, Veränderung hinsichtlich der bestehenden Machtverhältnisse einzufordern. „Die grundlegende Ambition des Festivals besteht darin“, so O Murchù in ihrem Grußwort, „ein breites Verständnis für die Vielfalt politischer Praxen der Verweigerung zu ermöglichen; von den kleinen Gesten wie der Installation eines AdBlockers oder eines Encryption-Tools bis hin zu den kollektiven Protesten und Bewegungen, die sozio-politische Veränderung fordern.“ Längst wird Verweigerung in sowohl rechten als auch linken Bewegungen praktiziert, wie den Corona-Leugner*innen oder den Demonstrationen in Hong Kong gegen ein autoritäres Regime. Im Almanac findet sich bereits die Marshall McLuhan Lecture, die dieses Jahr von dem Medientheoretiker und Software-Designer Jason Edward Lewis zum Thema Looking Beyond Impoverished Intelligences gehalten wurde und sich den White-Supremacy-Strukturen in den digitalen Sphären und den Algorithmen künstlicher Intelligenzen widmet. „white supremacy: It’s not just for People anymore‘“, heißt es dort. Aus der Verweigerung dieser Strukturen entstehen bei Lewis alternative Angebote, die das Wissen und die Intelligenz marginalisierter Bevölkerungsgruppen und Sprachen mobilisieren.
Die Beispiele zeigen, wie dringlich eine diskursive Rahmung der Verweigerung ist. Und so präsentiert sich die transmediale 2021/22 verheißungsvoll am Puls der Zeit – oder diesem vielleicht sogar voraus. Mit innovativen Ideen, die Raum zur Entfaltung lassen, dem Mut, es einfach mal anders zu machen, und aus dem technisch Vollem schöpfend, entsteht ein neues Festival-Konzept, das mehr sein will, als nur ein Krisenmodus.
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