Reprodukt Comics – Interview mit Gründer Dirk Rehm

Vor über 30 Jahren hat Dirk Rehm den Reprodukt Comic-Verlag gegründet. Begonnen hat es 1991 mit Übersetzungen US-amerikanischer Alternative-Comics. Doch schnell wurde der Berliner Verlag mit heutigem Sitz im Wedding auch eine Adresse für deutsche Zeichner*innen und Autor*innen. Damals galt der Comic in Deutschland als verpönt und stand der Popkultur näher als dem Buchhandel. Im Interview erklärt uns Dirk, warum das heute anders ist, und er erzählt uns von den Anfängen seines Verlages und wie sich die deutsche Comic-Szene seitdem verändert hat.

Reprodukt Comics – Interview mit Gründer Dirk Rehm

Mit dem Reprodukt Comic-Verlag hat Dirk Rehm vor über 30 Jahren seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Schon als Kind war er von den Zeichnungen und den Geschichten in Sprechblasen fasziniert. Zu Beginn waren es die französischen Abenteuer-Comics der 1970er Jahre. Als Jugendlicher steckte er dann seine Nase in die anspruchsvolleren Fantasy und Sci-Fi-Comics, die im Schwermetall-Magazin erschienen waren. Und so richtig interessant wurde es dann für Dirk, als er während der 1980er auf die nordamerikanischen Underground Comics stieß, die ihn letztlich dazu verleitet haben, einen eigenen Verlag zu gründen, wie er im Interview erzählt.

Dirk Rehm als Comic-Figur – © „Mawil

“Besonders fasziniert hat mich damals die Generation nordamerikanischer Comic-Zeichner, die in den 1980er Jahren angefangen haben, New Alternative Comics herauszubringen; Chester Brown, die Hernandez-Brüder, Daniel Klaus. Da hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass die auch über mich und meine Lebenswelt schreiben, obwohl sie einen Kontinent weit entfernt waren. In den Comics spiegelten sich ähnliche Interessen wie für Musikkultur und Punk wider, sodass sie eine Relevanz in meinem Leben hatten. Und dann habe ich darüber nachgedacht, selbst einen Verlag zu gründen, weil es in Deutschland in meinen Augen keinen gab, der dafür gepasst hätte. Ich habe dann bei Fantagraphics angefragt, ob ich die Comics in Deutschland verlegen könne. Es kam sofort ein ‚Ja‘. Und dann ging es los.”

Mehr Pop statt Literatur

Heute sind Comics ein fester Bestandteil der Literaturszene. Die Verlage sind auf den großen Buchmessen vertreten und jede Buchhandlung hat zumindest ein kleines Regal mit Comics, Mangas und Graphic-Novels. Als sich Dirk einst zur Gründung seines Verlages entschlossen hatte, sah das noch anders aus. Comics gehörten zur Popkultur und hatten gerade in Deutschland einen schweren Stand. Es war mehr eine leicht verpönte Nerd-Kultur, die in dunklen Comic- oder Plattenläden stattfand, nicht aber im Buchhandel der Oberwelt. Dementsprechend schwer war es für Reprodukt, an sein Publikum zu kommen.

Zu den ersten deutschen Autor*innen bei Reprodukt gehört Andreas Michalski, der gemeinsam mit Dirk und seinem Verlag das Buch “Artige Zeiten” herausbrachte. Andreas war und ist sehr eng mit der Hamburger Musikszene verbunden, hatte Kontakt zu deutschen Diskurs-Pop-Bands wie den Goldenen Zitronen und auch in die Rap und Hip Hop-Szene. Bevor er mit Dirk in Kontakt kam, ließ er seine Comics von dem Musiklabel Buback vertreiben, das z.B. durch das Debütalbum von Absolute Beginner bekannt geworden ist. Diese Vertriebsstrukturen konnte daraufhin auch Dirk nutzen, was ihm und seinen Comics die Möglichkeit bot, in die Plattenläden zu kommen.

“In den 80er und 90er Jahren wurden Comics eher subversiv wahrgenommen, auf jeden Fall galten sie nicht als Hochkultur. Dadurch hatten wir Schwierigkeiten, an ein Publikum zu kommen. Die Plattenläden waren da eine gute Möglichkeit, Leute abzugreifen, die sich insgesamt für Popkultur interessiert haben; da gab es in meinen Augen große Überschneidungen. Aus meiner Zeit im Groben Unfug, ein Berliner Comic-Laden, in dem ich gearbeitet habe, kenne ich auch Bela B von den Ärzten, der dort häufig aufgetaucht ist. Da gab es schon Verbindungen innerhalb der Popkultur, auch wenn ich die gar nicht so gesucht habe.”

Zurück in den Buchhandel

Entscheidend für ein steigendes Ansehen im Literaturbetrieb war eigentlich nur ein Begriff, das vieles ändern sollte: die Graphic Novel. Ein Genre, das eigentlich gar keines ist. Doch mit dem Begriff wurden Comics wieder zunehmend hinsichtlich ihrer literarischen Qualitäten wahrgenommen und gewannen an ansehen, wie Dirk erzählt.

“Wir haben erst sehr spät angefangen, mit dem Begriff der Graphic Novel zu arbeiten, die ja heute als die literarische Form des Comics bekannt ist. Es gibt keine richtige Definition dafür. Eigentlich sind es in einem Buch abgeschlossene Geschichten, also Comics, die eher eine Romanform haben. Und mit dieser Form des Comics ist es uns auch wieder gelungen, in die Buchhandlungen zu kommen. Der erste Schritt dafür war das Feuilleton. Dort hatten wir verbündete Journalist*innen, die auf derselben Welle gefunkt haben wie wir. Und die haben dann den Comic ins Feuilleton getragen und von da aus dann auch in andere Medien wie das Fernsehen.”

Immer häufiger stehen Comics gleichberechtigt im Buchhandel, werden also dem Thema entsprechend sortiert und nicht einfach zu Comics oder Cartoons gestellt. So steht “Maus” beim Thema Zweiter Weltkrieg bzw. Holocaust und die queer-feministischen Werke der schwedischen Comiczeichnerin Liv Strömquist lassen sich neben Romanen und Sachbüchern in der Kategorie Queer finden.

„Es ist nicht so, als würden einem die Comics aus der Hand gerissen werden.”

Cover des Comics „Grüß den Postmann, ruf den Klempner“ von Anna Haifisch – © Reprodukt

Obwohl der Comic heute ein gutes Ansehen genießt, bleibt es für Für Dirk und sein Team trotzdem schwer. “Es ist nicht so, als würden einem die Comics aus der Hand gerissen werden”, sagt Dirk etwas euphemistisch. Die Erstauflagen bei Reprodukt liegen zwischen überschaubaren 1.000 bis 4.000 Exemplaren. Explodiert sei laut Dirk eher der Manga-Markt und weniger der für Comics. Und so ist auch die deutsche Szene nach wie vor klein.

“Das Problem ist, dass man in Deutschland vom Comiczeichnen nicht leben kann, weil das Publikum nicht da ist. Wir können keine 10.000er Auflage von einem deutschen Comic machen. Das geht vielleicht für Ralf König, aber dann hört es auch schon auf in Deutschland. Deshalb gibt es auch nicht so viele Zeichner*innen. Viele unter ihnen verdienen ihr Geld in der Werbung oder arbeiten in der Animation und Grafik.”

Auch Dirk hat mit Reprodukt lange Zeit kein Geld verdienen können. Erst seit etwa 2013 kann er sich selbst ein monatliches Gehalt zahlen. Doch heute sei es noch immer ein Kampf und viel Presse und Öffentlichkeitsarbeit nötig, um die Comics verkaufen zu können.

Subkulturelle Authentizität

Reprodukt ist ein Autor*innen-Verlag. Wird ein Werk eines*r Künstler*in verlegt, so sollen auch die Folgenden bei Reprodukt erscheinen, sodass Dirk eng mit den Künstler*innen zusammenarbeitet. Schon in den Anfängen des Verlages war es Dirk wichtig, dass die Comics ein bestimmtes Themenspektrum bedienen, das zu Reprodukt passt. Dabei hat auch Diversität immer eine Rolle gespielt.

“Bei uns war immer die Anbindung an die Subkulturen und alternativen Szenen wichtig, da war das Thema im Grunde vorgegeben. Die ersten deutschen Comics, die wir publiziert haben kamen von Andreas Michalke und Minou Zaribaf, die Comics über ihr Skaterleben oder über Konzertbesuche gemacht haben. Der zweite Zeichner war dann Markuss Golschinski mit einer Heftreihe namens „KrimKrim“, wo er Geschichten aus seinem Alltag als schwuler Mann erzählt hat. Da ging es sowohl um Aids als auch um Ska und Punk. Die Sachen müssen einfach zu uns passen und sollen authentisch sein. Man sollte das Gefühl bekommen, dass die Zeichner*innen wissen, wovon sie da sprechen; dass das echt ist.”

„Wir können die Comics ja nicht umzeichnen.”

Cover des Comics „Irmina“ von Barbara Yelin – © Reprodukt

Den Ruf einer männlichen Nerd-Kultur hat der Comic mittlerweile weitgehend abgelegt. Schon seit gut 20 Jahren treten verstärkt auch weibliche Zeichner*innen in der deutschen Comic-Landschaft zum Vorschein und konnten bei Reprodukt ihren Verlag finden. Dirk nennt Namen wie Barbara Yelin, Anke Feuchtenberger und Anna Haifisch, die ihre Werke bei Reprodukt verlegen lassen. Dadurch wird im Verlag auch verstärkt über Sexismus und die Repräsentation von Diversität diskutiert.

“Ich glaube schon, dass in unseren alternativen Kreisen immer eine gewisse Sensibilität gegenüber Diversität vorhanden war und wir haben immer darauf geachtet, dass wir alle gleichberechtigt nebeneinander stehen. Aber wir haben natürlich noch ein paar misogyne Autoren im Programm, über die wir aktuell viel diskutieren. Z.B. Mangas aus den 60er und 70er Jahren, die ein veraltetes Rollenbild transportieren. Da ist dann die Frage für uns, was wir da machen können. Wir können das im Vorwort oder Nachwort zwar erklären, aber wir können die Comics ja nicht umzeichnen.”

Für die Zukunft wünscht sich Dirk ein bisschen mehr wirtschaftliche Stabilität für seinen Verlag, da der stetige Kampf um Buchverkäufe sehr anstrengend sei. Im großen und Ganzen ist er aber zufrieden und wünscht sich, dass es so weitergeht. Aktuell beschäftigt sich Dirk mit einer Manga-Bewegung namens Gekiga. Die Comics sprechen vor allem Erwachsene an und ausgewählte Werke erscheinen nun bei Reprodukt erstmals in deutscher Übersetzung. Es gibt also auch für Dirk auch nach 30 Jahren im Comic-Geschäft immer wieder neues zu entdecken, wofür er sich begeistern kann.


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