NEUSTART Kultur – Interview mit der Initiative Musik

Die Initiative Musik ist eine Fördereinrichtung des Bundes für Musikschaffende. Als eine von vielen Einrichtungen wurde sie letztes Jahr mit der Realisierung von NEUSTART KULTUR beauftragt, dem Milliardenschweren Rettungsprogramm der Bundesregierung. Ein Teil ist hier die Künstler*innenförderung. Wer die bekommt, wird bei der Initiative Musik von einer Jury entschieden. Um besser verstehen zu können, wie NEUSTART KULTUR funktioniert, wie es umgesetzt wird und wer davon profitiert, haben wir sowohl mit der Pressestelle der Initiative Musik als auch dem Vorsitzenden der Jury und Melting Pot Music-Inhaber Oliver von Felbert gesprochen.

NEUSTART Kultur – Interview mit der Initiative Musik

NEUSTART KULTUR ist ein Milliardenschweres Rettungsprogramm der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) Monika Grütters. Durch die Förderungen sollen Kultureinrichtungen in die Lage versetzt werden, “ihre Häuser erneut zu öffnen und Programme wieder aufzunehmen, um Künstlerinnen, Künstlern und Kreativen eine Erwerbs- und Zukunftsperspektive zu bieten”. Dafür wurde im Sommer 2020 eine Milliarde Euro bewilligt. Im März 2021 wurde das Programm um eine weitere Milliarde aufgestockt. Das klingt erstmal nach richtig viel Geld. Aber im Angesicht der 9 Milliarden Euro, die allein die Lufthansa bekommen hat, sind 2 Milliarden für eine ganze Branche eher ein Tropfen auf einem heißen Stein. 

Dass es hier schlicht ungerecht zugeht, ist keine Frage, und dass die Bundesregierung hier mit zweierlei Maß misst, keine Überraschung. Und doch hinkt der Vergleich etwas, da es hier um unterschiedliche politische Akteure geht und der Bund nicht für die Hilfen der Kultur- und Kreativbranche zuständig ist.

Ein Programm und viele Fragen

In Deutschland gilt die Kulturhoheit der Länder. Das heißt, Gesetzgebung und Verwaltung in den Bereichen Bildung, Fernsehen, Rundfunk und Kunst ist Sache der Länder. So liegt auch die Verantwortung der Corona-Hilfen für den Kulturbereich dort. Deshalb gibt es beispielsweise so große Unterschiede bei den Hilfen für die Clubkultur. In Berlin sind diese vergleichsweise gut, in anderen Bundesländern eher dürftig, wie uns Lutz Leichsenring von der Berliner Clubcommission erklärte. Mit NEUSTART KULTUR hat das jedoch gar nichts zu tun.

Uns war das bisher nicht so ganz klar, wie das Rettungsprogramm des Bundes eigentlich funktioniert. Deshalb haben wir nachgefragt. Und zwar genau dort, wo NEUSTART KULTUR tatsächlich umgesetzt wird.

Da das Programm jedoch bereits bestehende Förderstrukturen aus den unterschiedlichen Teilbereichen der Kultur nutzt, gibt es hier nicht die eine Institution, sondern eine unübersichtliche Zahl an Einrichtungen, je nach Teilbereich der Kultur, die mit der Umsetzung der Förderung beauftragt wurde. Die Initiative Musik ist eine davon. Sie muss ca. 12% der Mittel verwalten und gehört damit schon zu den größeren Einrichtungen.

Kultur-Kompensation mit Haken

Der Leiter des Teams Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Initiative Musik, Michael Wallies, erklärt uns, dass NEUSTART KULTUR im Unterschied zu den anderen Corona-Hilfsprogrammen des Bundes oder der Länder eben nicht als Überbrückungshilfe gedacht sei, sondern – wie der Name schon sagt – soll es den Musiker*innen und Unternehmen einen Neustart nach bzw. unter Corona ermöglichen. Gefördert werden hier sowohl konkrete Musikprojekte als auch Veranstaltungen. So sollen durch die Teilprogramme beispielsweise Veranstaltungen bezuschusst werden, die wegen der Corona-Einschränkungen mit deutlich weniger Besucher*innen oder als Streaming-Event stattfinden müssen. Die so ausbleibenden Einnahmen und zusätzlichen Kosten für die Umsetzung von Hygienekonzepten sollen dann durch die zusätzlichen Mittel aus NEUSTART KULTUR kompensiert werden und so die Wiederaufnahme der kulturellen Arbeit ermöglichen.

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Die Förderung ist also an konkrete Vorhaben gebunden, mit dem sich Musiker*innen, Clubmacher*innen und Veranstalter*innen auf Förderung bewerben können. Hier geht es also um den Erhalt der kulturellen Infrastruktur und insofern auch um Hygiene- und Sicherheitskonzepte.

Die Teilprogramme haben aber einen großen Haken: Die Veranstaltungen müssen tatsächlich stattfinden bzw. die Projekte tatsächlich umgesetzt werden, damit die Gelder komplett abgerufen werden können. Lassen die aktuellen Corona-Maßnahmen dies nicht zu, gibt es die Gelder lediglich für die anteilig bewilligten Planungsmaßnahmen. Außerdem wird jede Förderung nur für einen bestimmten Zeitraum bewilligt, in dem das Vorhaben umgesetzt werden muss. Darüber hinaus verfällt der Anspruch auf die Förderung.

Dauerhaft im Dialog

Dies liegt zum einen daran, dass das Programm im Sommer 2020 mit der Aussicht auf Öffnung des Kulturbetriebs konzipiert wurde, die bis heute, von einigen On-Off-Zuckungen mal abgesehen, ausgeblieben ist. Andererseits liegt es auch daran, dass NEUSTART KULTUR größtenteils bestehende Förderstrukturen nutzt, wie die der Initiative Musik, die hinsichtlich der Corona-Situation erst angepasst werden mussten. Zusätzlich wurden zu den bestehenden Förderungen und im Dialog mit den Institutionen neue Teilprogramme aufgesetzt, die den Betroffenen im Kultur- und Veranstaltungssektor zusätzlich helfen sollen.

Diese Teilprogramme werden seitdem Start im steten Dialog der Fördereinrichtungen mit den Fachverbänden und der BKM stetig angepasst, versichert uns Michael Wallies. So hätten beispielsweise die im Vorjahr bewilligten Förderungen ursprünglich bis zum Sommer 2021 realisiert werden müssen. Hier gibt es nun eine Verlängerung bis zum Ende des Jahres, da die meisten bewilligten Projekte aktuell noch nicht umgesetzt werden konnten. 

Um die Programme den Realitäten besser und schneller anpassen zu können, wurden in den mit NEUSTART KULTUR betrauten Einrichtungen und deren Gremien neue Stellen geschaffen, die mit beruflich erfahrenen Personen aus dem jeweiligen Teilbereich der Kultur- und Kreativbranche besetzt wurden. Ihre Expertise dient der Verbesserung der Programme.

Zu wenig Geld für Künstler*innen

Bei der Initiative Musik werden drei Teilprogramme von NEUSTART KULTUR für den Live-Sektor realisiert. Gefördert werden Musikclubs, Festivals und Veranstalter*innen. Für diese Programme stehen der Initiative Musik im Rahmen von NEUSTART KULTUR ca. 115 Millionen Euro zur Verfügung.

Wesentlich geringer fällt das zusätzliche Volumen der Künstler*innenförderung aus. Hier wurden der Initiative Musik im Vorjahr 10 Millionen zusätzlich zur Verfügung gestellt. Während das Fördervolumen für den Live-Sektor von Michael Wallies als durchaus angemessen eingeschätzt wird – wie gesagt, soll es ja nicht das Überleben der Clubs sichern, sondern „nur“ deren Neustart ermöglichen – sind die zusätzlichen Gelder für die Künstler*innenförderung schlicht zu wenig. Konkret bedeutet das, dass nicht alle förderungswürdigen Anträge auch die entsprechende Förderung bekommen.

Für die Künstler*innenförderung wurden keine neuen Strukturen oder Programme geschaffen, sondern die bestehenden der Initiative Musik genutzt und erweitert. Schon vor NEUSTART KULTUR wurde hier eine Jury berufen, die über die Anträge berät und entscheidet, welche Projekte die Förderung erhalten. Die Jury bildet einen Querschnitt durch die Musikwirtschaft; und zwar sowohl hinsichtlich des Tätigkeitsbereichs, als auch der Genre-Expertise. Vorsitzender dieser Jury ist derzeit Oliver von Felbert, Label-Chef von Melting Pot Music und im Hip-Hop verwurzelt. Mit ihm haben wir über die Arbeit der Jury gesprochen. Dabei wird eine Sache ganz schnell klar. Durch die Pandemie und das Programm von NEUSTART KULTUR hat sich die Arbeit der Jury stark verändert:

Vorsitzender der Jury Oliver von Felbert

„Die Verantwortung, die wir heute als Jury tragen, ist um ein Vielfaches größer. Vor Corona finanzierten sich Musiker*innen über Musikverkäufe, Gagen, GEMA und GVL. Wobei die Gagen für die meisten die Miete zahlten. In normalen Zeiten haben wir Projekte gefördert, die Dank der Initiative Musik ihr volles Potential ausschöpfen konnten. Heute kann eine Zu-oder Absage existenzentscheidend sein. Das beeinflusst die Arbeit der Jury natürlich. Wir sind alle selbst aus der Branche und kennen die Situation aus erster Hand.”

Hinzu kommt, dass die Zahl der Anträge enorm gestiegen ist. Mussten die 12 Mitglieder der Jury vor Corona pro Runde über 100 bis 150 Anträge entscheiden, hatten sie in den letzten beiden Runden im Jahr 2020 zusammen 2.300 Anträge auf dem Tisch liegen. 

„Um dem gerecht zu werden, wurde die 12-köpfige Jury auf 20 Mitglieder vergrößert und aufgeteilt nach Genres wurden Untergruppen gebildet. Dennoch ist der Arbeitsaufwand für uns als Jury sehr viel größer. Gleichzeitig motiviert es ungemein, wenn du weißt, dass du den Leuten substantiell helfen kannst, was wir Dank Neustart Kultur aktuell können.”

Gamechanger

Um der schwierigen Situation irgendwie gerecht werden zu können, wurde das bestehende Programm angepasst. Die Künstler*innenförderung der Initiative Musik war vor NEUSTART KULTUR so aufgebaut, dass die Künstler*innen oder deren Label oder Verlag 60 % des Projekts selbst finanzieren mussten. Bei Bewilligung steuert die Initiative die verbleibenden 40 % zu. Während der Pandemie ist aber vollkommen unklar, ob das Projekt wegen des brachliegenden Live-Sektors überhaupt Geld einspielen können wird, sodass die Eigenbeteiligung zu einer großen Hürde wird. Um darauf zu reagieren, wurde der Förderanteil auf 90 % erhöht, was den geförderten Künstler*innen eine größere Freiheit bei der Planung gibt. Aus Sicht von Oliver von Felbert ist die deutliche Erhöhung des Förderanteils von 40% auf 90% ein absoluter Gamechanger. Ein typisches Förderprojekt liegt bei ca. 20.000 Euro. Das bedeutet, dass Artist und Label mussten es davor mit einem Eigenanteil von 12.000 Euro kofinanzieren. Für dasselbe Projekt musste bei den letzten beiden Runden nur ein Eigenanteil in Höhe von 2.000 Euro mitgebracht werden.

So froh Oliver über die Aufstockung durch NEUSTART KULTUR auch ist, das Geld reicht einfach nicht aus. Von den über 2.000 Anträgen der letzten beiden Runden in 2020 konnten nur 648 gefördert werden.

„Wir hatten deutlich mehr förderungswürdige Projekte als Mittel. Hier die richtigen Entscheidungen zu treffen ist schwer und es tut weh, wenn du einen guten Antrag ablehnen musst, weil schlichtweg zu wenig Geld da ist. Die Entscheidungen, die wir letztendlich treffen, sind das Ergebnis genauer Prüfung und gemeinsamer Abwägung auf Grundlage der Förderrichtlinien. Eine Zauberformel für die perfekte und zu 100% gerechte Verteilung gibt es meiner Meinung nach nicht.”

So kann es entscheidend sein, aus welchem Bundesland die Antragstellenden kommen oder in welchem Genre sie tätig sind. Kommt nur ein Jazz-Antrag aus Mecklenburg-Vorpommern, hat dieser höhere Chancen als einer der 100 Anträge zu Techno-Projekten aus Berlin. Das klingt natürlich ungerecht, aber wenn die Mittel in dieser Form begrenzt sind, werden solche Dinge zwangsläufig relevant.

„Die Initiative Musik ist nicht das Finanzamt“

Oliver berichtet nach jeder Förderrunde dem Aufsichtsrat der Initiative Musik, wo auch die BKM und die anderen Geldgeber wie die GVL und die GEMA vertreten sind.

“Natürlich berichte ich dem Aufsichtsrat, wie schwierig und auch traurig die letzte Runde war und dass die Mittel wieder nicht gereicht haben. Die Mitglieder des Aufsichtsrats nehmen diese Informationen hoffentlich mit. Mehr können wir als Jury hier nicht tun.”

Die Initiative Musik und ihre Jury machen zwar selbst keine Politik, führen aber den Dialog mit den Entscheidungsträger*innen, um das Programm stetig den realen Gegebenheiten anzupassen. Als Fördereinrichtung steht sie den Antragstellenden mit Rat und Tat zur Seite und Oliver empfiehlt, diese vor der Antragstellung zu kontaktieren und sich ein erstes Feedback zu holen. 

„Du stellst einen Antrag nicht per WhatsApp!“, sagt er scherzhaft. „Es ist eher mit einem Business-Plan vergleichbar. Da lohnt es sich, im Vorfeld bei der Initiative Musik Fragen zu stellen. Natürlich haben die aktuell wahnsinnig viel zu tun. Aber die Initiative Musik ist nicht das Finanzamt, sie hat den Auftrag zu helfen.“

Die Gesellschaft braucht Musik

Am Ende des Tages geht Oliver trotz allem mit einem positiven Gefühl aus einer Förderrunde, weil sie vielen Kreativen helfen konnten. Aber natürlich wünscht er sich, dass die Politik der Kultur- und Kreativwirtschaft mit derselben Wertschätzung wie der Lufthansa begegnet 

„Wir haben keine Lobby wie die Automobilindustrie, die Banken oder die Energiewirtschaft. Ex-Minister*innen die zu Universal oder zum VUT wechseln sind auch eher selten. Wir machen nur Musik. Aber Musik ist notwendig für ein gutes Leben und sie ernährt verdammt viele Menschen in diesem Land. Und das gilt ganz besonders für junge Menschen. Und da wünschen wir uns, genauso gesehen und gehört zu werden und genauso selbstverständlich und schnell an Hilfen zu kommen.”

Aktuell läuft die nun 53. Förderrunde der Initiative Musik und auch diesmal hat die Jury fünf Millionen Euro zur Verfügung. Hinsichtlich der großen Defizite ist das eher ein Tropfen auf dem heißen Stein. Aber vielleicht bewahrt es wenigstens einige davor, aus der Kreativbranche abwandern zu müssen, wie es Jana Scheffert von der Berlin Music Commission im Gespräch mit uns befürchtend äußerte.


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