Kultur-Streaming – digitale Transformation ist besser als gar nichts

Ohne Streaming wäre uns während des Lockdowns wahrscheinlich noch sehr viel langweiliger geworden als ohnehin schon. Sowohl Musik- als auch Film- und Serien-Streaming haben in 2020 Rekordzahlen hingelegt. Prime, Netflix und Spotify sind die großen Gewinner in diesem Bereich. Aber auch Plattformen wie Youtube oder Twitch haben enorm zugelegt. Auch neue Plattformen wie SpectYou oder Dringeblieben sind während der Pandemie entstanden und bieten neben Musikkonzerten und DJ-Sets auch der Theaterszene einen digitalen Raum. Die Kultur ist also vollständig im digitalen Raum angekommen. Aber werden die Angebote auch genutzt? Und werden sie uns nach dem Lockdown erhalten bleiben?

Kultur-Streaming – digitale Transformation ist besser als gar nichts

Über ein Jahr ist die Pandemie nun schon alt und es war ein Geburtstag, den wir lieber nicht „gefeiert“ hätten. Die Kunst- und Kreativbranche leidet stark unter dem anhaltenden Lockdown und den noch immer fehlenden Perspektiven. Der Veranstaltungssektor liegt brach. Damit wir kulturell nicht vollständig verarmen und um den Kreativschaffenden dennoch Aufführungsmöglichkeiten geben zu können, gibt es mittlerweile ein sehr großes Streaming-Angebot von Kulturschaffenden und Veranstaltungshäusern. Nicht nur DJ-Sets und Podcasts, sondern auch klassische Konzerte und Theateraufführungen gibt es inzwischen in großer Zahl als Stream. Besser findet das niemand – höchstens besser als gar nichts. Und doch wünschen sich viele die digitalen Angebote des Kultursektors auch für eine Post-Lockdown-Zeit zusätzlich zur analogen Aufführungspraxis.

Demokratisierung durch Streaming

Positiv an der neuen Streaming-Praxis ist die Lösung des Angebots vom geographischen Ort des Geschehens. Vor Corona hing die kulturelle Bildung immer auch an der kulturellen Infrastruktur des Wohnortes ab. Wer in Berlin oder München wohnt, hat sehr viel bessere Zugänge zu Kultur, die auf dem Land spürbar abnehmen. Durch Streaming ändert sich dies und es findet tatsächlich eine Demokratisierung statt, wo alle Menschen mit Internetzugang dieselben Möglichkeiten zur Partizipation haben. Und da Kultur mehr als Unterhaltung, sondern auch gesellschaftlich wichtige Vermittlungsfunktionen wie Bildung und Kritik erfüllt, werden hier Barrieren abgebaut und ein kleines Stück Chancengleichheit gewonnen.

Bei den vielen Streaming-Angeboten liegen unterschiedliche Beweggründe zugrunde. Doch was alle eint ist der Gedanke der Überbrückung. Streaming ist ein Kompromiss, den die Pandemie von uns fordert, keine Alternative und erst recht keine Lösung. Letztlich stehen alle in den Startlöchern und warten auf den Wiederanpfiff des „normalen“ Kulturbetriebs.

Biggest digital club worldwide

Die Streaming-Angebote kamen unterschiedlich schnell. Quasi sofort reagierte die Clubszene mit United We Stream, u.a. initiiert von der Berliner Clubcommission. Bereits am 18. März wurde die erste Ausgabe aus dem Berliner Watergate gesendet, um denen eine Bühne zu geben, die plötzlich keine mehr hatten. DJs spielten aus der Location an der Oberbaumbrücke, um Spenden für die Clubs zu sammeln, deren Existenz von Beginn des Lockdowns an auf dem Spiel stand. Doch es ging nicht nur um Spenden, sondern auch um den Erhalt der Clubkultur während der Pandemie. Mittlerweile haben fast 2.400 Künstler*innen in 486 Locations gespielt und konnten so ca. 1,5 Millionen Euro an Spenden generieren. Mit über 150 Millionen Views ist United We Stream der „biggest digital club worldwide“.

Für die großen Theater- und Konzerthäuser war der Druck nicht ganz so groß, da sie i.d.R. staatlich finanziert sind und ein besseres politisches Standing haben. Doch natürlich leiden auch sie und die kleineren Ensembles stark unter der andauernden Pandemie und es fehlt ihnen die Aufführungspraxis. Von Häusern wie der Komischen Oper Berlin mal abgesehen, die nach all dem Lockdown-Hin-Und-Her ihr Programm für den Rest des Jahres abgesagt haben, bieten viele von ihnen Aufführungen als Stream an. Aber natürlich stellt sich hier die Frage nach der Bezahlung. Theater- und Konzertveranstaltungen sind in der Umsetzung sehr teuer. Würden sie nicht staatlich subventioniert werden, wären die Eintrittskarten für viele gar nicht bezahlbar. Deshalb hat der Präsident des Deutschen Bühnenvereins gefordert, die Streams der Häuser nicht länger kostenlos zur Verfügung zu stellen. Eine Antwort auf die Kostenfrage liefern Plattformen wie Dringeblieben oder SpectYou.

Digitale Kulturkosmen

Dringeblieben wurde von Rausgegangen und Ask Helmut ins Leben gerufen und seine UX erinnert stark an Twitch. Die Angebote kommen im Live-Stream, können aber auch nachträglich On-Demand angeschaut werden. Die Streams liegen hinter einer Paywall. Erst der Kauf eines Tickets öffnet dann den Zugang. Hier gibt es verschiedene Preisklassen, darunter das Support-Ticket, das etwas teurer ist. Auf diesen Plattformen werden die verstreuten Streams gebündelt und können ihre Sichtbarkeit erhöhen. Es gibt nicht nur klassische Konzert- und Theateraufführungen, sondern auch Pop-Konzerte, Workshops und DJ-Sets sowie reine Audioformate wie Hörspiele und Talk-Runden.

Stärker auf den Independent-Bereich des Theaters ausgerichtet ist SpectYou. Auch hier gibt es Live-Streams und On-Demand-Angebote. Diese sind entweder für einen bestimmten Zeitraum zu sehen, i.d.R. 24 oder 48 Stunden, oder können dauerhaft im Katalog gefunden werden. Das Preissystem ist ähnlich wie bei Bandcamp, sodass die Konsument*innen selbst entscheiden können, wie viel sie für das Produkt bezahlen möchten. Die Theaterschaffenden werden an den Einnahmen beteiligt. Außerdem können die Theaterschaffenden, die sich als solche registrieren, ein Profil erstellen und mit den Aufführungen verknüpfen, in denen sie zu sehen sind.

Wer weniger zahlt, kann früher gehen

Die Angebote im Netz sind da. Doch werden sie auch genutzt? Oder sind es nur Alibi-Aktivitäten während des Lockdowns? Zahlen gibt es dazu leider keine, was auch an den verstreuten Angeboten liegt. Anhand einer sehr kleinen, nicht-repräsentativen Umfrage zu diesem Thema des Portals Nachtkritik zeigt sich aber die Tendenz, dass es nur sehr wenige Menschen gibt, die regelmäßig Kultur-Streams anschauen. Und selbst dann schauen weit über die Hälfte der Konsument*innen nur in Ausnahmefällen das Angebot von Anfang bis Ende. Ob sich das mit der Qualität der Streams oder mit der verminderten Aufnahmekapazitäten der Zuschauer*innen im digitalen Raum erklären lässt, wäre reine Spekulation. In der Umfrage zeigt sich auch die Tendenz, dass die Konsument*innen für einen Stream weniger zu zahlen bereit sind, wodurch sich das Kostenproblem noch verschärft.

Für Freischaffende gibt es zudem das Problem, dass die Rechte am Stream bereits mit der Gage abgegolten sind, obwohl diese nach nur einer Aufnahme der Aufführung mehrmals gezeigt werden können, was in der Praxis auch geschieht. Bei analog stattfindenden Aufführung ist das anders. Der Zusammenschluss von freien Kreativschaffenden im Musiktheater KreAktiv Musiktheater Stands up fordert deshalb eine klare Regelung der Beteiligung an diesen Angeboten.

Bühnen im Netz

Ein Stream kann eine analoge Aufführung nicht ersetzen. Das hatten wir schon immer geahnt und es nun während des Lockdowns bestätigt bekommen. Denn egal wie groß der Bildschirm und wie satt der Sound zu Hause ist, der Veranstaltungsort mit seiner Akustik, Ästhetik und auch Geschichte lassen sich nur sehr bedingt durch eine (im besten Fall) Glasfaserleitung drücken. Wo uns eine Aufführung, ein Konzert oder ein DJ stundenlang fasziniert zuschauen und -hören lässt, nimmt unsere Konzentration vor dem Bildschirm schnell wieder ab. Es sind die eigenen Vierwände, die uns permanent anstarren und daran erinnern, wo wir sind und wer wir sind und was wir noch zu tun haben. Für die Künstler*innen ist es gleichermaßen irritierend, wenn sie plötzlich vor einem leeren Haus in die Kamera performen müssen, sich das aber nicht anmerken lassen dürfen, weil das die ohnehin sensible Illusion des Streams zerbrechen ließ.

Es ist eine gute Entwicklung, dass die Bühnen es nun ins Netz geschafft haben. Und sie sollten dort bleiben dürfen, auch wenn wir endlich wieder ihre analoge Pracht bewundern dürfen. Denn ein jeder Stream bedeutet Menschen die Chance der Partizipation, die ihnen sonst vielleicht verwehrt geblieben wäre. Besonders die staatlichen Einrichtungen sollten im Rahmen des Kulturauftrags diesen Service bieten. Es ist aber auch klar, dass es sich um ein Zusatzangebot handeln sollte, das die analoge Aufführungspraxis nicht ersetzen kann und darf.


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