Nachhaltiges Handeln und Wirtschaften im Sinne des Klimaschutzes ist Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Damit sind aber auch Fragen des Kenntnisstandes und der zur Verfügung stehenden Mittel verbunden. In diesen Bereichen gibt es große Unterschiede in den verschiedenen Wirtschaftszweigen. Der Kulturbetrieb ist hier hinsichtlich seiner schlechten Bilanz schon länger im Gespräch. Kulturstätten und Kreativschaffende reflektieren zwar inzwischen ihre Rolle beim Klimawandel, “beklagen aber zugleich fehlende Mittel, bürokratische Strukturen und unzureichendes Handlungswissen, um konkrete Maßnahmen umzusetzen”, wie es bei der Kulturstiftung des Bundes heißt. Diese hat aus genau diesem Grund das Modellprojekt “Klimabilanzen in Kulturinstitutionen” durchgeführt.
Nicht in große CO2-Fußstapfen treten
Insgesamt haben 19 Kultureinrichtungen an dem Projekt teilgenommen und in den letzten vier Monaten mit fachlicher Unterstützung ihre Klimabilanz erstellt sowie ihren CO2-Fußabdruck berechnet. Unter den Teilnehmenden sind Museen, Musikspielstätten, Theater, Orchester und die Kulturstiftung des Bundes selbst mit ihrer Niederlassung in Halle. Sie wurden bei der Bilanzierung unterstützt und haben ein Klima-Coaching erhalten, um verbessert umweltfreundlich Handeln und Wirtschaften zu können. “Ziel ist es, modellhaft den Prozess der Klimabilanzerstellung im Kulturbereich zu erproben, um Kultureinrichtungen ein Instrument auf dem Weg zur Klimaneutralität aufzeigen.”
Mit dem Projekt sollten einerseits Daten generiert werden, die mehr über die Klimabelastung des Kulturbetriebs preisgeben. Zum anderen geht es aber auch um Sensibilisierung, Wissensvermittlung und konkrete Handlungsempfehlungen, die auch von anderen Institutionen und Betrieben zukünftig genutzt werden können.
Zu den größten Energiefressern zählen zum einen die Klimaanlagen in Museen und Archiven, die zum Schutz der Ausstellungsstücke eingesetzt werden. Zum anderen sind es die Transporte; vor allem die mit dem Flugzeug. Nicht nur Künstler*innen und Ensembles fliegen für Gastspiele um die halbe Welt, auch Kunstwerke legen als Leihgabe enorme Strecken zurück, sodass hier viele Flugmeilen zusammenkommen.
Last Night a DJ took a Flight
Das Problem mit den Flugmeilen ist seit einiger Zeit auch in einem anderen Bereich ein Thema: der Clubkultur. Denn die angesagten Clubs dieser Welt brauchen auch die angesagten DJs und Produzent*innen dieser Welt. So werden für das hedonistische Vergnügen jedes Wochenende wahnsinnig viele Flugmeilen zurückgelegt. Da die Bookings meist exklusiv sind, die Künstler*innen also keinen weiteren Gig in der Umgebung spielen dürfen, fliegen DJs und Produzent*innen oft für nur einen Auftritt um die halbe Welt, um am nächsten Tag erneut um die halbe Welt zum nächsten zu fliegen.
Das Berliner Kollektiv Clean Scene hat sich das mal genauer angeschaut und eine CO2-Bilanz für eine Reihe von Top-DJs erstellt. Unter dem Titel “Last Night a DJ took a Flight” wurden die Ergebnisse veröffentlicht. Als Grundlage dienten die Daten des Online-Portals Resident Advisor, mit denen das Kollektiv eine Liste der 1000-Top-Touring-DJs erstellt hat. Anhand der eingetragenen Bookings der DJs wurden die Flugmeilen und eine CO2-Bilanz des Jahres 2019 errechnet.
Lokale Szenen für das Klima stärken
Die Ergebnisse mögen nicht überraschen, sind aber natürlich alarmierend. 51.000 Flüge, 117.000.000 zurückgelegte Kilometer und 35.000 Tonnen freigesetztes CO2. Der*die durchschnittliche DJ setzt so 35 Tonnen CO2 im Jahr frei. Empfohlen sind 2 Tonnen. Dabei gibt es aber gravierende Unterschiede zwischen den hinsichtlich der Reiseaktivität oberen 100 DJs in der Liste zu den letzten 100. Letztere kommen nur auf einen Durchschnitt von 3.3 Tonnen pro Jahr, während die 100 Führenden der Liste auf durchschnittlich ganze 88 Tonnen CO2 pro Jahr kommen. Klimafreundlich geht anders. Davon ausgehend hat das Kollektiv einige Verbesserungsvorschläge erarbeitet, “to create a cleaner, greener, and more equitable future for dance music.”
Um zukünftig mehr Klimagerechtigkeit in der Dance-Szene zu schaffen, greift das Kollektiv die exklusive Verträge an, die dazu führen, dass DJs und Produzent*innen sehr viel mehr fliegen müssen, um Gigs spielen zu können. Dies liegt weniger bei den DJs als bei den Veranstalter*innen, die ihre Clubs damit von der Konkurrenz abheben wollen. Außerdem sollten Bookings verstärkt aus dem lokalen Raum der Location kommen, da das Problem hier in der Form gar nicht erst entsteht und darüber hinaus auch der hiesigen Szene zugute kommt.
Aber auch das Tour-Routing könne energieeffizienter gestaltet werden. Von Sydney nach Paris nach Seoul ist nicht nur für DJs anstrengend, sondern auch für das Klima. Hier sollten sich besonders Agenturen und Veranstalter*innen besser vernetzen und im Sinne einer best-practice voneinander lernen können. Das Kollektiv betont die Bedeutung solcher Netzwerke, da bei Agenturen und Veranstalter*innen viele der Entscheidungen getroffen werden.
Auf zu einer neuen Normalität
Die Hoffnung ist groß, dass sich der Kulturbetrieb von der Krise erholen wird. Die Öffnungen in Deutschland sind ein gutes Zeichen und viele atmen auf. Gleichzeitig ist das Thema Klimaschutz im Kulturbetrieb angekommen. Die so unterschiedlichen Projekte “Klimabilanzen in Kulturinstitutionen” und “Last Night a DJ took a flight” kommen also genau zur richtigen Zeit. Denn ein zurück zur alten Normalität wird es nicht geben. Vielmehr gilt es eine neue Normalität zu schaffen. Und für die wäre mehr Klimaschutz und -gerechtigkeit eine gute und notwendige Sache. Und wenn wir doch ohnehin schon dabei sind, alles neu zu verhandeln.
Die Dokumentation “Klimabilanzen in Kulturinstitutionen“ gibt es hier.
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