Die Pandemie hat vieles verändert. Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens mussten plötzlich neu bzw. anders und mit gesteigerter Dringlichkeit verhandelt werden. Eine dieser Fragen war die nach dem urbanen Raum und wie Menschen trotz des Virus und geschlossener Innenräume sicher zusammenkommen können.
Eine Stadt für alle
Um den Raum in Berlin gibt es schon lange Interessenkonflikte zwischen Bewohner*innen und Investor*innen. Auch Räume für Kunst und Kultur sind immer wieder Thema, das zu teils hitzigen Diskussionen zwischen der Stadtverwaltung und der Szene führt. Die Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung haben die Nutzung der Freiflächen verstärkt ins Gespräch gebracht, sodass der Rat für die Künste und dessen AG Urbane Praxis 2020 die Initiative Urbane Praxis ins Leben gerufen hat, die bestehende Projekte weiterentwickeln und neue Räume erschließen sollte.
Dafür bündelt die Initiative Urbane Praxis die Expertise Berlins Kreativschaffender aus den Bereichen Kunst, Kultur, Architektur und Soziokultur, um an 12 Standorten experimentelle und künstlerische Stadtraumprojekte zu entwickeln und zu erproben, “die dem Anspruch ‘Stadt für alle’ konkret Gestalt geben.” Das haben wir uns von dem Projektbüro der Initiative genauer erklären lassen.
Die Initiative wurde 2020 während der Pandemie vom Rat für die Künste angestoßen. Mit welcher Zielsetzung wurde sie gegründet?
Projektbüro Urbane Praxis: Urbane Praxis will Neues erproben, oftmals an wenig bekannten oder vergessenen Orten. Ziele der Initiative Urbane Praxis waren kurz- und mittelfristig die Unterstützung der Künstler*innen über die kritische Phase der Pandemie hinaus. Außerdem setzten wir uns für die Öffnung und gemeinschaftliche Nutzung stadträumlicher Reserven zum sicheren Zusammenkommen der Bewohner*innen ein. Langfristig zielt die Initiative darauf ab, urbane Praxis strukturell so zu verankern, dass unterschiedliche Akteur*innen in ihren innovativen Arbeitsweisen Perspektiven für eine gemeinwohlorientierte Stadt entwickeln und auf die großen Herausforderungen wie Klimawandel und Gentrifizierung reagieren.
„Das Urbane ist das Vielfältige und Gemeinsame.“
Bei dem Projekt geht es auch um die Frage, wie Urbanität unter Bedingungen einer Pandemie Raum für Kunst, Kreativität und Aushandlung/Diskurs ermöglichen kann. Wie stark wurde das Projekt selbst durch die Maßnahmen beschränkt?
Projektbüro Urbane Praxis: Die weitreichenden Corona-Lockdown-Einschränkungen haben auch die Arbeit unserer Campusanlagen und Stadtlabore hart getroffen. Aufgrund der Einschränkungen mussten diese Orte ihre Aktivitäten stark reduzieren, womit sich der Aufbau der Anlagen verzögerte. Über die undifferenzierten Verbote für Kunst und Kultur im Infektionsschutzgesetz haben wir uns in einem offenen Brief geäußert. Trotzdem haben die Praktiker*innen seit Herbst letzten Jahres unter ihre Kompetenzen der Improvisation genutzt und vieles neu- und weitergebaut sowie passende Angebote entwickelt, Programme aufgesetzt und Kooperationen gestartet. Deshalb sind wir jetzt, da es wieder erlaubt ist, in der Lage, ein breiteres Publikum zu unseren Veranstaltungen, gemeinsamen Ortserkundungen und Workshops einzuladen.
Disziplinäre Denkmuster überwinden
Städte müssen pragmatisch sein. Wie kann die Stadtplanung von Kunst- und Kreativschaffenden lernen?
Projektbüro Urbane Praxis: Die Schlüsselworte hier sind spartenübergreifende Zusammenarbeit: Urbane Praxis verbindet die Künste mit anderen Feldern, überwindet disziplinäre Denkmuster und agiert explizit non-disziplinär, denn das Urbane ist das Vielfältige und Gemeinsame. Sie integriert dabei künstlerische Strategien aus den traditionellen Sparten der Architektur, der bildenden Kunst, der darstellenden Künste, des Tanzes, der Literatur, des Films und vielen mehr, weil sie sich nicht für die Abgrenzung interessiert, sondern für die Potenziale der Verknüpfung. Die Künste übernehmen in der Urbanen Praxis oft eine führende Rolle, stellen Fragen neu und anders, erkunden auf neuartige Weise den Kontext. Sie bringen verschiedene Sphären der Zivilgesellschaft zusammen. Urbane Praxis kann so auch Fragen aufwerfen, die städtische Prozesse betreffen und disziplinübergreifende Lösungen für Herausforderungen einer gemeinwohlorientierten Stadt von Morgen erproben. Mehr und regelmäßiger Austausch zwischen Stadtplaner*innen und Kunst- und Kulturschaffenden ist nötig, um den Wissenstransfer und das gegenseitige Lernen zu fördern.
Wie läuft die Kommunikation mit der Berliner Politik und Verwaltung im Rahmen des Projekts?
Projektbüro Urbane Praxis: Das Projektbüro Urbane Praxis schafft in Zusammenarbeit mit der AG Urbane Praxis Möglichkeiten für den Dialog mit Verwaltung und Politik: Arbeitsgespräche mit den Staatssekretär*innen aus den unterschiedlichen Ressorts, Exkursionen zu den Standorten der Initiative, runde Tische mit den Praktiker*innen und Fachgespräche. Persönliche Beziehungen werden geknüpft, Vertrauensverhältnisse aufgebaut. Beispielsweise planen wir gerade ein Panel im Rahmen der Freiraumkonferenz, die von der Clubcommission initiiert wurde und im August stattfinden wird.
„Persönliche Beziehungen werden geknüpft, Vertrauensverhältnisse aufgebaut.“
Wie können sich Kreativschaffende an den Projekten beteiligen?
Projektbüro Urbane Praxis: Grundsätzlich sind unsere Campusanlagen und Stadtlabore für die Nachbarschaft offen und wir freuen uns, wenn Leute vorbeikommen und ihre Ideen und Vorhaben mit uns teilen oder einfach mitmachen. Je nach Standort arbeiten die Praktiker*innen anders, aber immer sparten- und ressortübergreifend. Manche Initiativpartner*innen, wie Berlin Mondiale, haben ein erweitertes Netzwerk von Kunst- und Kulturschaffenden, die zum Mitmachen eingeladen werden. In anderen Fällen, beispielsweise beim Floating e.V., gibt es auch Open Calls. Darüber hinaus kann man sich mit Kooperationsanfragen an das Projektbüro Urbane Praxis wenden und die Beteiligung an unserem erweiterten Netzwerk besprechen.
Die Initiative läuft noch bis zum Ende des Jahres. Können Sie eine Zwischenbilanz ziehen?
Projektbüro Urbane Praxis: Vieles wurde in den vergangenen Monaten geschafft: Auch während des Lockdowns haben wir neu- und umgebaut, Kooperationen geschaffen, Forschungs- und Reflexionsarbeit geleistet. In der Zeit ist viel Material entstanden, etwa die Podcast-Serie ‘Fuß in der Tür’, die gerade mit neuen Folgen läuft, und die ‘drift dialogues’, Ausschnitte von Gesprächen, die während Urbane Praxis-bezogenen Spaziergänge entstanden sind. Nach einer langen Zeit beschränkter Aktivitäten stehen wir jetzt vor einer spannenden Phase: Die Campusanlagen sind wieder geöffnet und die Stadtlabore aufgebaut; Die Ausstellung ‘ÜBER Urbane Praxis’ läuft bis Ende Juli; die Freiraumkonferenz steht vor der Tür und wir sind stetig daran, unser Netzwerk und den Austausch mit anderen kulturellen und stadtpolitischen Praktiker*innen zu erweitern.
Urbane Praxis verstetigen
Was passiert mit der Initiative nach Ablauf der Förderung?
Projektbüro Urbane Praxis: Viele Projekte der Urbanen Praxis kämpfen mit dem Konflikt, der sich aus der grundlegenden Förderlogik ergibt: während künstlerische Projektförderung singuläre Ereignisse ermöglicht, geht es in den Projekten der Urbanen Praxis oft um den Aufbau eines Ortes der eine mittel- bis langfristige Perspektive hat. Die Förderung der Campusanlagen und Stadtlabore, sowie des Projektbüros Urbane Praxis endet aber mit diesem Jahr. In Zusammenarbeit mit anderen Initiativen engagiert sich die Initiative Urbane Praxis deshalb dafür – auch im Hinblick auf die Wahlen im September –, dass die im Aktionsplan formulierten Forderungen über das Jahr 2021 hinaus verfolgt werden und damit die Aktivitäten der Urbanen Praxis verstetigt werden.
Die Forderungen der Initiative Urbane Praxis sind im Aktionsplan zu lesen.
Die Materialsammlung der Initiative Urbane Praxis.
Alles zur Ausstellung ÜBER Urbane Praxis.
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