Finale Ausstellung der transmediale 21/22 – “abandon all hope ye who enter here”

Mit der Ausstellung “abandon all hope ye who enter here” geht die transmediale 2021/22 zu Ende. Vom 26. Januar bis zum 18. Februar ist diese in der Akademie der Künste in Berlin oder via Proxy-Visit zu sehen. Über ein Jahr lang hatte sich das Festival an der Schnittstelle zwischen Kunst, Wissenschaft und Technik unter dem Motto for refusal der Verweigerung als Kulturtechnik gewidmet. In der finalen Ausstellung geht es nun um die Grenzen der Verweigerung in sozio-technischen Settings und die algorithmischen Schäden, die diese verursachen. Wir haben uns im Press Preview durch die Akademie der Künste in Berlin und die neun Werke internationaler Künstler*innen führen lassen.

Finale Ausstellung der transmediale 21/22 – “abandon all hope ye who enter here”

Vor einem Jahr hatte die transmediale 2021/22 ihre digitalen Pforten geöffnet und war in ein Jahr gestartet, in dem alles etwas anders als gewohnt ablaufen sollte. Es war nicht nur die Pandemie und die mit dieser einhergehenden Krise des Kultur- und Kreativsektors, die die Festivalleitung Nora O Murchù zu einem neuen, einjährigen Konzept mit On- und Offline-Angeboten veranlassten. Das neue Konzept sollte auch Räume zur Reflexion unserer Kulturproduktion und -nutzung öffnen sowie die transmediale selbst gewissermaßen entschleunigen. Statt in nur fünf Tagen durch das Programm an verschiedenen Orten Berlins zu eilen, wurde es auf 365 Tage verteilt und im sogenannten Almanac online zur Verfügung gestellt.

Gerahmt wird diese einjährige transmediale unter dem Motto for refusal von zwei Ausstellungen: Rendering Refusal zum Auftakt vor einem Jahr und abandon all hope ye who enter here zum Abschluss in der Akademie der Künste in Berlin. Letztere ist seit dem 26. Januar 2022 für Besucher*innen geöffnet oder kann über einen Proxy Visit besucht werden. Wir hatten die Gelegenheit, uns schon vorab beim Presse Preview durch die Ausstellung führen zu lassen. 

Eine Reise durch die Hölle?

Szene aus „Remaining Threads“ von Ibiye Camp – © C. Kinkel

Die beiden Ausstellungen rahmen das Programm nicht nur zeitlich, sie nehmen auch inhaltlich Bezug aufeinander und bieten unterschiedliche Perspektiven auf das Motto for refusal. Ging es vor einem Jahr um Verweigerung als proaktiven Akt zur Veränderung und in diesem Sinne um eine hoffnungsvolle Kulturpraxis, spürt abandon all hope ye who enter here den Grenzen der Verweigerung in einer computergesteuerten Welt nach. Trotz all dem schwarzen Humor in den Werken der Ausstellung und dem augenzwinkernden Zitat aus “Dantes Inferno”, geht es da durchaus düster zu.

Digitale Technik, Algorithmen und künstliche Intelligenzen haben sich unverzichtbar in unserem Alltag eingenistet und sich in unsere Gewohnheiten eingeschrieben. Doch bei all den Heilsversprechen auf eine bessere Welt und Zukunft haben die neuen Technologien und Anwendungen toxische Nebenwirkungen, die jedoch hinter der technischen Black Box verborgen bleiben. abandon all hope ye who enter here möchte diese Black Boxes öffnen und verspricht einen Blick in den Backstage der Technologie unseres Alltags, wie uns die Kuratorin Lorena Juan zu Beginn der Führung erklärt. “Oh, how well we insulate ourselves from the realities of life we find so deeply unpleasant and rarely confront”, prangt es am Eingang zu den Ausstellungsräumen.

Die neun Werke internationaler Künstler*innen und Kollektive möchten die “algorithmisch erzeugten Schäden unseres Alltags” aufspüren, wobei algorithmisch hier nicht exklusiv auf digitale Technologie, sondern auch auf menschliche Gewohnheiten und gesellschaftliche Strukturen abhebt. So werden Blockchain-Technologien, die Verschmelzung von Unterhaltung und Überwachung wie auch nicht überwundene koloniale Denkmuster und Ressourcenausbeutung thematisiert, kritisiert und hinterfragt.

Gruselig glücklich wiedergeboren

Szene aus „Dawn Chorus: Beta“ von Stine Deja – © C. Kinkel

Herzstück und räumliches Zentrum ist das Werk Entanglement des Künstler*innenkollektivs Annex. Zu sehen im Titelbild dieses Beitrages. Wie ein Lagerfeuer ragt die grobe Metallkonstruktion mit Bildschirmen, Kabeln und leistungsstarken Ventilatoren in die Vertikale des Raumes hinein. Es ist ein Datenzentrum und damit der materielle Bezugspunkt unserer so vermeintlich sauberen und ruhigen Digitalität; ein rauer Ort, der nicht für Menschen gemacht ist und auch nicht von diesen betreten werden soll. Hier wird Arbeit verrichtet. Die künstliche Intelligenz von Entanglement generiert Texte und störend laute Klänge aus den Live-Aufnahmen der Wärmebildkameras und repräsentiert so unsere algorithmisch gelesenen Begehren und Wünsche.

Wie sich technische Versprechungen für schwurbelige Kulte instrumentalisieren lassen, zeigt Stine Deja in ihrem Kunstwerk Dawn Chorus: Beta. Zehn Kinderwagen stehen im Kreis, in jedem liegt ein Monitor, der einen geisterhaften Avatar zeigt. Die Avatare besingen feierlich im Chor und gruselig glücklich drein blickend ihre Wiedergeburt. Es geht um ein Leben nach dem klinischen Tod, jedoch nicht im religiösen, sondern im technischen Sinne. Menschen lassen sich kryonisch einfrieren, um zu einem späteren Zeitpunkt wiederbelebt zu werden. Etwa 400 Menschen sind dieser Verheißung bisher gefolgt und warten auf ihre Reinkarnation. Der Tod als Ware, die Wiedergeburt als Maschine und der Mensch irgendwo dazwischen.

Auf eine ganz andere Weise unheimlich ist Wie Kan Zijn Noodlot Dwingen? (Wer kann das Schicksal zwingen?) von Cihad Caner. In einer Holländischen Süßspeise, die auch im deutschen Sprachraum ihre Entsprechung findet, materialisiert sich eigentümlich koloniales Denken, Rassismus und Diskrimination. Aus einer solchen Süßspeise hat der Künstler ein Figur animiert, die im Monolog über die ethnischen Spaltungen in unserer Gesellschaft reflektiert.

Schäden lokalisieren und umdeuten

Szene aus „Wie Kan Zijn Noodlot Dwingen?“ von Cihad Caner – © Luca Giradini

Die neun Kunstwerke decken das algorithmisch Toxische an vielen Ecken und Enden unserer Gesellschaft auf. Die Verweigerung selbst wird dabei kaum sichtbar, sondern hallt eher als Frage oder vielleicht auch Apell durch die Räume der Akademie. Wie können wir uns dem verweigern? Denn die Schäden sind längst da, Verweigerung käme zu spät.

abandon all hope ye who enter here wird von einem künstlerisch-mathematisch-sperrigem Methodenwerk begleitet, das an sechs Stellen zwischen den anderen Kunstwerken zu jeweils einer “Anwendung” des Methodenwerkes aufruft. Queering Damage heißt das Werk und stammt von dem Künstler*innenkollektiv The Underground Division. Es geht dabei um die Fähigkeit, kollektive und individuelle Schäden lokalisieren zu können und sie bei Bedarf umzuformulieren und “auszubessern”. So soll der Algorithmus des Heteronormativen hinterfragt, gestört und verändert werden. Hier taucht Verweigerung erneut als proaktive Strategie auf, mit deren Hilfe sich toxische Programmierungen verändern lassen.

Nach einem Jahr for refusal widmet sich die transmediale mit abandon all hope ye who enter here den Grenzen der Verweigerung, um daraus neue Handlungsmöglichkeiten auszuloten. Und doch bleibt ein mulmiges Gefühl bestehen, nachdem wir die Akademie der Künste verlassen und uns in unseren technologisierten Alltag stürzen, in dem die Grenzen zwischen Mensch und Maschine längst nicht mehr trennscharf sind.

Die Ausstellung abandon all hope ye who enter here läuft noch bis zum 18. Februar in der Akademie der Künste in Berlin und kann auch via Proxy Visit online besucht werden.


Hinterlasse einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.