Es war 2007, als der Bandcamp-Gründer Ethan Diamond verzweifelt versuchte, ein Album einer Band herunterzuladen, das zum kostenfreien Download angeboten wurde. Die Komplikationen wollte dieser nicht so recht akzeptieren und verließ prompt seinen damaligen Arbeitgeber Yahoo, um selbst Entrepreneur zu werden und Bandcamp zu gründen. Dort sollte der Download von Musikdateien einfacher funktionieren. Und das tut er. Jedes Release bekommt auf Bandcamp eine Micropage, die mit der*m Künstler*in und/oder dem Label verknüpft ist. Dort kann die Musik begrenzt über einen Player gestreamt und im Anschluss gekauft und geladen werden; und das wahlweise als mp3 oder lossless Dateiformat wie flac oder wav. Einmal gekauft, kann die Musik dauerhaft auf Bandcamp gestreamt und so oft geladen werden, wie Bedarf besteht. Auch in unterschiedlichen Dateiformaten.
Gerne wird Bandcamp als bessere Streaming-Plattform oder Anti-Spotify beschrieben. Doch der Vergleich hinkt. Schließlich ist der Zugang bei Spotify an ein Abo oder zumindest an einen Account mit Werbung geknüpft. Wird dieser gelöscht, erlischt auch das Zugriffsrecht. Ganz egal, wie oft ein Song gehört wurde, die Lizenz zum Abspielen war immer nur gemietet. Bei Bandcamp ist der On-demand-Service jedoch nur ein Feature und nicht der zentrale Aspekt des Business-Modells. Hier steht tatsächlich genau jene Abspiellizenz im Fokus, wie einst bei Schallplatten und CDs, jedoch mit dem Vorteil, dass sie nicht an die brüchige Materialität des Tonträgers gebunden ist. Auf diese Weise möchte Gründer Diamond die Verbindung zwischen Musik und Konsument*innen stärken, wie er im Interview mit dem Guardian erzählt.
Digitale Subkulturen
Mit diesem Modell wird den Künster*innen ein direkter Kontakt zu deren Fans ermöglicht, die diese mit dem Kauf der Musik unterstützen können. Und das ganz ohne Labels, Verlage und Vertriebe, die etwas von dem meist ohnehin kleinen Kuchen abhaben wollen. Wer einen kostenfreien Artist-Account bei Bandcamp hat, kann seine Musik dort hochladen und legt selbst fest, wie viel die Musik mindestens kostet. Die Fans können jedoch auch mehr bezahlen, wenn es ihnen die Musik wert ist oder sie die Künstler*innen unterstützen wollen. Bandcamp streicht dann eine Gebühr für jeden Verkauf ein; 15% bei Musik und 10% bei Merchandising-Artikeln. Auch freie Downloads sind über die “name your price”-Funktion möglich, diese dürfen die Artists jedoch nur begrenzt nutzen.
Für nischige Internetphänomene wie Vaporwave oder Witch-House war Bandcamp in den 2010ern die zentrale Plattform, wo sich diese neuen Genres entwickelten sowie verhandelt und vertrieben wurde. Als diese digitalen Subkulturen von der internationalen Pop-Presse entdeckt und aufgegriffen wurden, konnte Bandcamp wiederum von diesen profitieren und seinen Bekanntheitsgrad enorm steigern. Einige Künstler*innen aus solchen Bandcamp-Szenen sind heute bei großen Indie-Labels unter Vertrag, die die Musik von einst inzwischen re-releast haben. Mittlerweile sind die meisten der großen Indie-Labels selbst bei Bandcamp vertreten, was zeigt, dass die Plattform zu einem wichtigen Player in der Musikindustrie geworden ist.
Bandcamp-Friday
Als Kreativschaffende Anfang 2020 unmittelbar von der Härte der Pandemie getroffen wurden, reagierte Ethen Diamond prompt und erließ erstmals im März für einen Freitag lang die Gebühren. So kamen laut Unternehmen durchschnittlich 93% des Umsatzes direkt bei den Künstler*innen und Labels an. An diesem ersten Bandcamp-Friday wurde laut des Unternehmens im März wurde insgesamt ein Umsatz von 4,3 Millionen US-Dollar erzielt, das 15 Fache eines normalen Freitags auf Bandcamp. Im Mai waren es dann sogar 7,1 Millionen US Dollar.
Das Ansehen Bandcamps stieg enorm durch diese Aktion und konnte sich vor positiven Schlagzeilen kaum noch retten. Und so musste sich der US-Konzern nicht lange bitten lassen und machte den Bandcamp-Friday während der anhaltenden Pandemie zu einem festen Termin. Der nächste ist am 7. Mai. Die Zahl der Veröffentlichungen auf Bandcamp ist an diesen Freitagen enorm hoch, da viele Künstler*innen extra für diesen Tag und exklusiv auf Bandcamp neue Musik produzieren oder alte, bisher unveröffentlichte Stücke aus den Tiefen ihrer Festplatten emporheben. Da sich viele Fans per Mail über neue Releases ihrer Lieblingskünstler*innen informieren lassen, quilt an diesen Tagen ihre Inbox über.
Das Inbox-Fass ist voll
Die vollen Inboxen markieren das Leid der Musiker*innen. Sie stehen unter dem enormen Druck, ein neues Release zum Bandcamp-Friday fertig zu haben, da dieser vielen von ihnen als finanzieller Strohhalm in der Krise dient. Und so kämpfen sie nun auch auf Bandcamp um die Aufmerksamkeit der Fans, die sich mühsam durch gefühlt hunderte Mails zu den neuen Releases wühlen. Auch sie stehen unter dem Druck, ihre Entscheidung, welches Release die heutige Unterstützung bekommt, rechtzeitig vor Ablauf der Aktion zu treffen.
Und so bringt die Pandemie auch Bandcamp und die dort veröffentlichte Musik wieder dorthin zurück, wo sie sich einst von anderen wie Spotify abzugrenzen versuchten. Die Releases des Bandcamp-Fridays sind keine lange geplanten Kunstwerke, sondern unter dem Druck der Krise und der nächsten Mietzahlung entstanden. Gemacht für den schnellen Klick und das schnelle (kleine) Geld.
Streaming for Freedom
Inzwischen bietet Bandcamp auch eine digitale Antwort auf das Problem ausbleibender Konzerteinnahmen während der Pandemie und bietet User*innen mit Artist-Account einen Konzert-Streaming-Service an. Hier lassen sich nach dem altbekannten Prinzip Tickets erwerben, die den Fans den Zugang zu dem Konzert-Stream ermöglichen. Auch hier müssen die üblichen Gebühren bei Ticketverkäufen an den Konzern abgeführt werden. Während des Streams können die Fans Merch kaufen und – sofern freigeschaltet – sich im Chat unterhalten. Ein bisschen wie Twitch mit Eintrittskarte. Der Service startete im Dezember und ist ebenfalls kostenfrei für alle User*innen mit Artist-Account. Hier hat das Unternehmen bisher keine Zahlen veröffentlicht.
Das Unternehmen von Ethan Diamond scheint noch lange nicht am Ende zu sein. Tatsächlich entsteht unter dem Bandcamp-Banner eine Art geschlossenes System, das fast alle Funktionen der klassischen Musikindustrie bietet. Es gibt einen Plattenladen des Konzerns in Oakland, der immer eine kleine Auswahl an Bandcamp-Releases auf Vinyl verkauft und Konzerte von Bandcamp-Artists veranstaltet; es gibt das Online-Magazine Bandcamp Daily, das neue Musik auf Bandcamp vorstellt, Trends und Genres beleuchtet sowie Artists- und Label-Feature veröffentlicht; und es gibt die Crowdfunding-Funktion zum Pressen und Vertreiben der eigenen (Bandcamp-)Musik auf Schallplatte.
Sind Indie-Strukturen in Gefahr?
Das alles geschieht unter positiven Vorzeichen, da es immer um die Freiheit der Künstler*innen geht und nicht um die monetären Interessen des Konzerns. Bisher sind diese Strukturen noch klein und bedienen noch immer mehr die Nische als den Mainstream und das wird sich wahrscheinlich auch nicht ändern. Aber große Bereiche der Musikszene sind nischig und genau diesen könnte Bandcamp eine Gefahr sein, wenn es die kleinen Labels, Verlage, Vertriebe und Plattenläden nicht mehr braucht, die es schon lange vor der Krise richtig schwer hatten.
Für Künstler*innen (auch solche die für ihre Musik ein eigenes Label gründen) ist Bandcamp eine großartige Plattform, deren Services und Aktionen gerade während der Pandemie von unschätzbarem Wert sind. Dass Bandcamp nur dann verdient, wenn die Künstler*innen etwas verkaufen, ist fair und bietet vielen die Möglichkeit, ihre Musik ohne Zugangsbeschränkungen und Gatekeeper zu veröffentlichen. Ob es bestehende Indie-Strukturen der Musikwirtschaft nicht nur unterstützt, sondern womöglich auch gefährdet, lässt sich aktuell noch nicht sagen. Bisher gibt sich Bandcamp als deren Verbündete. Hier sollten wir aber vielleicht eine Auge drauf behalten.
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