Als sich die Welt in den 90er Jahren zu digitalisieren begann, waren mit dem Internet noch Versprechungen verknüpft: offene Zugänge, freier Content, kein geistiges Eigentum. Wer einst an sie geglaubt hatte, dem ist heute nur noch ein verklemmtes Lachen zu entlocken. Der Glaube an das Genie, das die Idee wie ein Medium von einer größeren Macht empfängt, schien sich in den digitalen Sphären des WWW einfach aufzulösen. Natürlich wurde diese Leerstelle von Beginn von der Frage begleitet, wie sich die digitalen Zirkulationsprozesse monetarisieren ließen. Sehr prominent waren damals die Hilferufe der Milliardenschweren Musikbranche, deren CD-Verkäufe unter der Attraktivität illegaler Downloads stark zu leiden hatten. Aber auch in der Kunst und im Journalismus war die Sorge um die Kategorie des geistigen Eigentums als Voraussetzung für den eigenen Broterwerb groß.
Die sozialen Medien haben die Dynamik im Netz sehr stark verändert. Heute haben wir es mit zum Teil heftigen Kulturkämpfen, Fake-News und Trolling zu tun; stets begleitet von Algorithmen und künstlichen Intelligenzen, die sich in unsere Gewohnheiten einmischen und uns als soziales Produkt globaler Megakonzerne determinieren. In all diesem Trubel wächst bei vielen der Wunsch nach Wahrheit und Echtheit. Und vielleicht reden deshalb gerade alle über die Blockchain, eine Technologie, die genau das zu leisten vermag und die Frage nach geistigem Eigentum im digitalen Raum beantwortet.
Investment-Wahnsinn um digitale Prägungen
Bisher war die Blockchain vor allem über den Bitcoin bekannt. Doch nun häufen sich die Nachrichten über die Verkäufe von sogenannter NFT-Art, die ebenfalls die Blockchain-Technologie nutzen und einen Investment-Wahnsinn angezettelt haben. Die bekanntesten darunter sind sicherlich die Künstlerin Grimes, die innerhalb weniger Stunden knapp 6 Millionen US-Dollar mit NFT-Kunstwerken verdiente, und der amerikanische Grafikdesigner Beeple, der sein Kunstwerk für sagenhafte 69,3 Millionen US-Dollar versteigerte.
NFT steht für “non-fungible Token”. Die NFTs können jedes beliebige Dateiformat haben und in einem Rechenvorgang eine Prägung erhalten, die in der Blockchain gespeichert wird, um dort als Original erkennbar zu bleiben. Die Datei selbst liegt nicht in der Blockchain, sondern auf einem separaten Server. Die Prägung verweist auf diese Datei und speichert ihre Transaktionshistorie. Mit jeder Transaktion kommt ein neuer Block mit der aktuellen Information hinzu, die sich wie auf einer Kette aufreihen. Jedes Element verweist auf die gesamte Kette, indem es einem sogenannten Hash-Wert zugeordnet wird. Jede beteiligte Person, angefangen bei dem*der Urheber*in, speichert diese Kette und bestätigt auf diese Weise jede vorangegangene wie auch jede zukünftige Transaktion. Wird ein Element manipuliert, ändert sich für dieses Element der Hash-Wert und kann nicht der Kette des Originals zugeordnet werden. Ein solches Original kann zwar weiterhin kopiert werden und somit im Netz zirkulieren, die Prägung jedoch bleibt einmalig und sichert den Original-Status.
Marktwert für Digitale Kunst
Für den Kunstmarkt bedeutet diese Technik nicht weniger, als dass digitale Objekte einen Marktwert erhalten und somit handelbar werden – obwohl streng genommen nur die Prägung den Wert generiert und gehandelt wird, nicht das Kunstwerk selbst. Aber das schreckt Sammler*innen und Galerien nicht ab, sogar private Kunstsammlungen in die Blockchain einzuspeisen – Urheber*in und Besitzer*in fallen hier merkwürdig zusammen.
Aber auch Künstler*innen können davon profitieren und auf diesem Wege ihre Werke wie in einer Galerie verkaufen, um sich von ihren Follower*innen finanziell unterstützen zu lassen. Musiker*innen wie Mau5trap oder die Kings of Leon nutzten die Blockchain bereits, um ihre Musik – teils mit individueller Note – als NFTs zu verkaufen. Leider konzentriert sich das Interesse an NFTs vor allem auf bereits erfolgreiche und berühmte Künstler*innen, sodass Newcomer*innen hiervon bisher kaum profitieren. Rein technisch ist das sehr gut denkbar, aber es bleibt abzuwarten, wie die Blockchain von der Kreativbranche angenommen wird.
Original im Plural
Die digitale Blockchain hat gegenüber analogen Handelsräumen einen entscheidenden Vorteil: es kann mehrere Originale geben. Die Künstler*innen können entweder selbst eine bestimmte Anzahl an geprägten Werken anbieten. Oder sie bestimmen ein Zeitfenster, in dem ihr Werk unbegrenzt erhältlich ist. Bei einem solch zeitlich begrenzten Drop liegt es also an den Konsument*innen, wie viele Originale es geben wird. Diese Drops werden i.d.R. auf Social-Media bekannt gegeben, teilweise mit nur 15 Minuten Vorlauf. Da auch hier für jede*n einsehbar ist, wie viele Originale aus solch einem Drop hervorgegangen sind, ist es sinnlos, manipulierte Prägungen in den Umlauf zu bringen, da diese nicht auf den ursprünglich geprägten Hash-Wert zurückzuführen sind. So gesehen ließe sich sagen, dass ein NFT überhaupt erst durch eine Transaktion entsteht.
Die Idee mit technisch reproduzierten Originalen ist nicht neu und kommt aus dem Pop. Ein Drop folgt derselben Logik wie eine Pressung von Schallplatten; ist diese ausverkauft, muss man sich auf Marktplätze – analog oder digital – begeben und diese suchen. Auch hier gab es nicht das eine Original, sondern eben genau die Anzahl einer Pressung, die alle denselben Wert besitzen, von deren Abnutzung einmal abgesehen. Und doch gibt es natürlich einen gravierenden Unterschied: die Platte bietet eine Erfahrung, die über das Abspielen einer mp3-Datei hinausgeht – ganz unabhängig von der persönlichen Bewertung dieser Erfahrung. Da es sich bei NFTs aber um eine künstliche Verknappung handelt, die streng genommen keine ist, weil die Werke frei durch das Netz zirkulieren können und auch tun (wenn das Werk keiner kennt, kann es auch nicht berühmt werden), bietet die Verknüpfung mit der Prägung keinen Mehrwert, der über die reine Kapitalanlage hinausgeht.
Ein Hype erzeugt den Druck, ihn zu verpassen, und hat deshalb seine ganz eigene Dynamik. So lässt sich aktuell nur schwer einschätzen, was die Blockchain für die Kreativbranche bedeutet und welche Möglichkeiten sich hier auch für kleinere und weniger erfolgreiche Künstler*innen bieten. Das technische Potential ist auf jeden Fall gegeben und die Blockchain die wohl spannendste Entwicklung im digitalen Raum. Dass hier viel Stoff für technologische Dystopien drin steckt und wir nicht so ganz abschätzen können, ob wir uns bereits in einer befinden, müssen wir wohl aushalten lernen.
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