Berlinale Talents 2021 – Rückblick auf den digitalen Industry-Event

Die Berlinale gehört zu den wichtigsten Filmfestivals der Welt. Sie ist nicht nur für Berlin als Kulturstandort von großer Bedeutung, sondern auch das erste wichtige Branchentreffen im Jahr. Was hier erfolgreich ist, könnte später im Jahr auf der ganzen Welt laufen. Dieses Jahr gibt es erstmals eine zweigeteilte Hybrid-Variante. Im März den Wettbewerb Berlinale Talents als reiner  Online-Event; im Sommer dann die öffentlichen Vorführungen in den Berliner Kinos.

Berlinale Talents 2021 – Rückblick auf den digitalen Industry-Event

Die Bilder der letztjährigen Berlinale 2020 sehen heute wie ein Blick in eine weit entfernte Vergangenheit aus. Fast unwirklich scheint es, wenn die Stars und Sternchen umringt von Presse und Fans über den roten Teppich am Potsdamer Platz laufen und sich den Kameras präsentieren. Beim Blick auf dieselben Veranstaltungsorte in 2021 stellt sich Wehmut ein. Statt Glanz und Glamour gähnende Lehre und grauer Himmel. Die Berlinale scheint auf Pause zu sein, hoffnungsvoll wartend auf einen Sommer, in dem sich alle geimpft wieder vor den Leinwänden tummeln dürfen. Ob das tatsächlich möglich sein wird, bleibt unklar.

Doch die ohnehin schon geplagte Filmbranche braucht Festivals wie die Berlinale, da sich u.a. hier entscheidet, was im Sommer in den Kinos der Welt laufen wird. Außerdem ist es das erste wichtige Branchentreffen im Jahr, wo Kollaborationen entstehen und Deals abgeschlossen werden. Für die Leitung der Berlinale Mariette Rissenbeek ist wenige Tage vor Beginn des Festivals klar, dass dieser Event wenigstens digital stattfinden muss.

Dabei hat sich die erst in ihrem zweiten Geschäftsjahr befindliche Leitung lange Zeit sehr schwer getan, eine digitale Version des Festivals auf die Beine zu stellen. Erst als die Kulturstaatsministerin Monika Grütters Druck ausübte und mit deutlichen Worte klar machte, dass man die Berlinale nicht Corona opfern dürfe, gaben die Veranstaltenden der Berlinale nach. Außerdem stellte Grütters zusätzliche finanzielle Unterstützung aus dem Topf von Neustart Kultur in Aussicht. Ergebnis ist die besagte Zweiteilung.

Die Veranstaltung für die ‘Industry’ inklusive der virtuellen Verleihung der Bären und des European Film Market hat nun in der ersten Märzwoche stattgefunden. Dabei wurde eine Sache ziemlich schnell klar: die Exklusivität und die Zugangsbeschränkungen blieben auch online erhalten. Nur Geladene und Akkreditierte durften sich im sonst gesperrten Online-Portal die Filme anschauen. Und selbst für diese wurde es online nicht wirklich einfacher, da jeder Film nur einen Tag on demand verfügbar war. Sich alle Filme des Wettbewerbs anzuschauen, war kaum möglich.

Acht virtuelle Bären

Neben einem kleinen Open-Access-Angebot auf der Internetseite der Berlinale Talents, wo die Filme des Wettbewerbs vorgestellt und Interviews oder Sound-Performances gezeigt wurden, wurde auch die virtuelle Verleihung der Bären am letzten Tag life auf YouTube und Facebook gestreamt.

Gewonnen hat “Bad Luck Banging or Looney Porn” des rumänischen Reggisseurs Radu Jude. In dem Film gelangt ein privates Sextape eines heterosexuellen Ehepaars ins Internet und geht dort viral. Auch der Schule, an der die Frau im Video arbeitet, entgeht es nicht, woraufhin sich eine bis zum Tribunal steigernde Debatte entwickelt. Der Film bringe aktuelle gesellschaftliche Dynamiken auf den Punkt und spiegele sie mit einer guten Portion Komik zurück.

Die Jury Preise erhielten “Wheel of Fortune and Fantasy” von Ryusuke Hamaguchi (Großer Preis der Jury) und “Herr Bachmann und seine Klasse” von Maria Speth (Preis der Jury). Die beste Regie ging an Dénes Nagy für “Natural Light”. Dieses Jahr neu war die genderneutrale Ausschreibung im Wettbewerb, also dass es keine separaten Preise für männliche und weibliche Darstellenden gab, was im Sinne der Geschlechterdiversität entschieden wurde und insofern zeitgemäß ist. Diesen Preis bekam für die Hauptrolle Maren Eggert für ihre Performance in “Ich bin dein Mensch” von Maria Schrader und in der Nebenrolle Lilla Kizinger in “Forest – I see you Everywhere” von Bence Fliegauf. Hong Sangsoo bekam den silbernen Bären für das beste Drehbuch für “Introduction”, wo dieser auch Regie führte. Den Bären für die herausragende künstlerische Leistung bekam Yibrán Asuad für seine Montage “A Cop Movie”.

Selbstreflexive Think Tanks

Neben der Berlinale Talents lief auch der European Film Market (EFM) dieses Jahr komplett online. Auch hier war ein Online-Zugang nötig, für den man akkreditiert sein musste. Der EFM gilt als einer der wichtigsten Handelsplattformen für audiovisuellen Content und ist das erste wichtige Branchentreffen im Jahr. Die Ausstellenden wurde im Rahmen der Online-Möglichkeiten erweitert, sodass dieses Jahr 504 Aussteller*innen an 264 virtuellen Ständen teilnehmen konnten. Die Veranstaltenden zeigen sich in ihrem Bericht zufrieden über den Verlauf und die Akzeptanz des Online-Formats. Es seien viele Projekte während der fünf Tage realisiert oder angestoßen worden. Mit 12.000 Besucher*innen täglich sei der Traffic sehr zufriedenstellend gewesen.

Ebenfalls Teil des EFM waren die ‘Industry Sessions’, die ein breites Angebot an Talks, Roundtables, Workshops, Think Tanks und Showcases stellten. Fast alle Angebote konnten von den Akkreditierten frei genutzt werden. Einzige Ausnahme bildeten die Think Tanks, die zu drei Themen abgehalten wurden: ‘Digitising The Business’, ‘The Role and Responsibilities of Festivals and Markets’ sowie ‘Diversifying the Business’. Die verschlossenen Türen dieses selbstreflexiven Formats sollten nach offiziellen Angaben einen Safe-Space sicherstellen, in dem die Teilnehmenden offen und ohne Angst sensible und problematische Erfahrungen ansprechen können sollten.

Doch bei allem Verständnis für die große Relevanz von Safe-Spaces in Zeiten von Rechtspopulismus und aggressivem Trolling, wurde hier die Chance verpasst, den selbstkritischen Diskurs offen auf einer internationalen Bühne zu führen. Die Berlinale behält so ihre Diskursmacht als traditionelle Institution und entscheidet, wer teilnehmen darf und wer nicht; sie lässt sich nicht in die Karten schauen. Am Ende bleibt ein mageres, sechsseitiges Ergebnispapier. Und so reiht sich das, was als Wokeness verkauft wird, nur in die Logik aus Exklusivität, beschränkter Zugänge und Intransparenz ein.

Berlinale auf Pause

Die Berlinale hat sich im Krisenmodus präsentiert. Sie war zu lange zu zögerlich und wollte nicht so recht von ihrer Tradition abrücken, sodass sich die Digitalität wie ein Notnagel anfühlen musste, der erst auf den politischen Druck hin ergriffen wurde. Der Drehbuchautor Felix von Böhm sagte in einem Interview mit dem BR: „Festivals gibt es, weil wir das Kino lieben. Und nun gibt es keine Kinos. Das macht es wahnsinnig schwer, die Festivals überhaupt über diese schwierige Zeit hinüber zu retten.“ Das bringt den Modus der Berlinale auf den Punkt. Abwarten, bis es wieder so weitergehen kann wie bisher, ganz der Tradition verpflichtet mit rotem Teppich und Kinoleinwand; und stark begrenzten Zugängen.


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