Design ist mehr als Ästhetik; wir bewegen uns in ihm. Es prägt unsere Sicht auf die Dinge, umspült unsere Gewohnheiten und navigiert uns durch technische Interfaces. Design ist immer auch Kommunikation. Wir interagieren weniger mit den Dingen, als mit ihrem Design. Es kann Zugänge und Zugriffe ermöglichen, sie aber auch versperren. Design kann ausgrenzen und diskriminieren.
Die Gesellschaft befindet sich im Wandel. Durch die Krise mehr als sonst. Und mittlerweile ist klar, dass es kein zurück zur alten Normalität geben wird, sondern wir eine neue Normalität schaffen und gestalten müssen. Wie diese aussehen und funktionieren wird, liegt auch am Design. Und genau diesem Thema stellt sich die diesjährige Berlin Design Week mit ihrem Motto “New Traditions”.
Hybrid in die Zukunft
Die Berlin Design Week versteht sich als Podium auf dem Experimentierfeld Berlin, “auf dem neben bestehenden Trends revolutionäre Ideen, Strömungen und Innovationen entstehen und diskutiert werden.” Hier entstehen Schnittstellen zwischen Wirtschaft, Forschung und den unterschiedlichen Teilbereichen der Branche wie Industrial Design, Kommunikationsdesign und Textil- & Material-Design, aber auch UX- & UI-Design, Sound Design, Design Research, Social Design, Design Thinking sowie Eco Design.
Nachdem die Berlin Design Week letztes Jahr aus bekannten Gründen nicht stattfinden konnte, wurde für 2021 eine Hybrid-Variante erarbeitet. Das analoge Zentrum ist wieder das Bikini Berlin, wo die Berlin Design Week am 27. Mai mit dem Design Pool startet. Bis zum 6. Juni finden dann eine Vielzahl verschiedener Formate wie Ausstellungen, Showrooms, Talks und Führungen sowie Workshops, Screenings und Konferenzen statt. Einige davon in Berliner Museen, Labs oder Studios, andere ausschließlich online oder werden hybrid aus dem Bikini gestreamt. Das Closing-Highlight sind die Open Studio Nights am 4. und 5. Juni. Das komplette Programm gibt es hier.
Die Berlin Design Week ist ein Raum für Aushandlungsprozesse, wo verschiedene Akteur*innen zusammenkommen. Besonders wichtig ist hier die Einbindung der Forschung.
DIE ENTSCHLÜSSELUNG DES MENSCHEN
Seit 2019 gibt es eine Kooperation mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW), die auch in diesem Jahr wieder stattfindet. In diesem Zusammenhang sind Andreas Ingerl, Professor im Studiengang Kommunikationsdesign, und Moritz Schell, wissenschaftlicher Mitarbeiter im selben Studiengang, an der diesjährigen Berlin Design Week beteiligt. Wir haben ein Interview mit den beiden Wissenschaftlern geführt und sie zur gesellschaftlichen Rolle von Design, die Aufgaben während Corona und dem Motto der diesjährigen Berlin Design Week befragt. Die Berlin Design Week nimmt für beide Wissenschaftler eine wichtige Funktion ein:
“Wir leben in einer Welt,” erklärt Andreas Ingerl, “deren hohe Komplexität und Vielschichtigkeit, aber auch die zahllosen Zusammenhänge unseres Handelns als Menschen, mehr und mehr verstanden und entschlüsselt werden. Dafür sind Diskurs und Wissensvermittlung zentrale Bestandteile. Die Berlin Design Week ist hier eine perfekte Plattform für uns, um unsere Ergebnisse nach außen zu tragen und mit einer Öffentlichkeit zu diskutieren.”
Indem die Berlin Design Week ganz unterschiedliche Akteur*innen zusammenbringt, können wissenschaftliche Erkenntnisse in den öffentlichen Diskurs einfließen und so möglicherweise die Kreativbranche weiterentwickeln. Moritz Schell hat seinen Forschungsfokus auf Machine Learning, künstlicher Intelligenz sowie Virtual- und Mixed-Reality. Gerade in diesen Bereichen sieht er “eine hohe Relevanz eines gesellschaftlichen Diskurses, der ideal im Rahmen der Berlin Design Week entfaltet werden kann.” Zusammen mit Andreas Ingerl war Moritz Schell für die Ausstellung „Schnittstellen“ verantwortlich, die im Rahmen der Berlin Design Week 2019 stattgefunden hatte.
Diskursive Verschiebungen
Die Kooperation zwischen der HTW und der Berlin Design Week kommt den Studierenden zugute, da diese dort ausgewählte Arbeiten präsentieren und in einen Dialog mit dem Publikum treten können. Von der wissenschaftlichen Rahmung der studentischen Arbeiten profitiert wiederum die Berlin Design Week im Sinne ihrer Funktion als Podium für Dialog und Diskurs, wie Moritz Schell erklärt: “Wir beschäftigen uns in den Projekten und Seminaren mit zukunftsrelevanten Fragestellungen. Die Arbeiten, die bei uns entstehen, tragen zu einem gesellschaftlichen Diskurs bei, der ideal im Rahmen von Veranstaltungen wie der Berlin Design Week entfaltet werden kann.”
Der Diskurs hat seit Beginn der Krise eine neue Dynamik angenommen, da die Frage nach einer Welt nach der Pandemie bzw. einer Welt mit der Pandemie und wie eine neue Normalität aussehen könnte, viel mit Design zu tun hat. Andreas Ingerl beobachtet hier eine Verschiebung bei den Arbeiten seiner Studierenden:
„Jede Generation von Designer*innen wollte die Welt retten.“
“Design will schon immer aktuelle Themen bearbeiten, vermitteln und kommunizieren. Ich denke, jede Generation von Designer*innen wollte die Welt retten. Die Pandemie hat all die relevanten Themen auf den Tisch gebracht, die es schon lange zu verhandeln gilt. Das spiegelt sich natürlich auch in den Projekten unserer Studierenden wider. Noch vor wenigen Jahren waren wir verstärkt mit selbstreferenziellen und autopoietischen Projekten konfrontiert. Dieser Blick hat sich nun stark nach außen gerichtet und macht nun endgültig die wichtigen Aspekte unserer Zeit zum Thema.”
Neue Traditionen für eine neue Normalität
Der HTW-Professor betont, dass Designer*innen natürlich selbst keine Impfstoffe entwickeln oder Hygienekonzepte erarbeiten können. Aber: “Wir sind ein wichtiger Akteur, wenn es darum geht, solche Dinge zugänglich zu machen, zu vermitteln und zu kommunizieren. Und da sind wir natürlich an diesem zentralen Punkt: Holt Designer*innen nicht am Ende mit rein, um die wissenschaftliche Information hübsch und verständlich zu machen, sondern holt uns von Anfang an in die Prozesse, damit die ‘Kommunikation’ am Ende die bestmögliche Wirkung entfalten kann.”
„Aus der Vergangenheit lernen, aber in der Zukunft lernen und denken.“
“New Traditions” lautet das Motto der diesjährigen Berlin Design Week. Damit ist sowohl der Wandel als auch der Wunsch nach der besagten neuen Normalität angesprochen. Für Ingerl ist es wichtig, dass wir “aus der Vergangenheit lernen, aber in der Zukunft leben und denken.” Dementsprechend kann der dem Motto viel abgewinnen:
“Ich finde das Motto der Berlin Design Week sehr clever gewählt. Und damit meine ich jetzt nicht die werbliche Eigennützigkeit, sondern als Botschaft für die Kreativwirtschaft. Wir haben jetzt mehr als jemals zuvor die Möglichkeit, neue Traditionen zu entwickeln sowie Konzepte, Ideen, Verhaltensweisen und Modelle zu erschaffen, die dann zu Traditionen werden können und die Zukunft positiv beeinflussen.”
Es hat sich noch nicht ausgehandelt
Mit der Berlin Design Week hat die Design-Szene eine Plattform, auf der genau solche neuen Traditionen interdisziplinär verhandelt werden können. Die Hybridität von solchen Festivals ist selbst noch in der Aushandlung begriffen, spielt aber auch für Aushandlung neuer Traditionen eine wichtige Rolle, wie Ingerl erklärt:
“Die Berlin Design Week wird stetig hybrider werden, aber auch globaler, trans- und multimedialer, digitaler und auch wieder analoger. Ich glaube, im Moment sehnen wir uns alle nach echten Ausstellungen, dunklen Räumen, Licht und Schatten, der ‘echten Welt’. Aber in Zukunft werden wir entscheiden können und dürfen, ob wir etwas vor Ort in der ‘echten Welt’ oder virtualisiert auf einem Screen oder per Brille sehen und erleben möchten. Wir verhandeln gerade fast alles neu.”
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