Als die Ars Electronica vor über vier Jahrzehnten gegründet wurde, ging es um nicht weniger als die Digitale Revolution. Immer an der Schnittstelle zwischen Kunst, Technologie und Wissenschaft ist das österreichische Festival stetig gewachsen und heute zu einer der bedeutendsten Institutionen für digitale Kunst weltweit geworden. Dabei versteht sich die Ars Electronica nicht nur als Präsentationsforum für zukunftsweisende Projekte, sondern auch als Plattform für interdisziplinären Austausch, die wichtige Impulse für den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs setzt. Schwerpunkte sind dabei virtuelle Realität und künstliche Intelligenz. Die diesjährige Ausgabe findet vom 8. bis 12. September statt – natürlich hybrid.
Bereits im letzten Jahr hat das Festival hinsichtlich der Hybridität Fingerspitzengefühl bewiesen und diese nicht einseitig gedacht. Mit den sogenannten Ars Electronica Gardens wurden über den gesamten Globus verteilt kleine analoge Festival-Locations geschaffen, die ihrerseits hybrid einen großen Teil des Programms ausmachten. Eine sehr demokratisch gedachte und frische Herangehensweise. Denn so wurde nicht nur aus Linz in die Welt gestreamt, sondern auch aus der Welt nach Linz – und in die Welt.
Dezentrales Festival-Konzept
Auch dieses Jahr wird es wieder die Gardens auf fast allen Teilen der Welt geben, jeweils von lokal ansässigen Personen, Kollektiven oder Institutionen organisiert. Insgesamt wird es dieses Jahr 86 Gardens geben. Einer von ihnen findet in den Berliner Reinbeckhallen statt. Jeweils zwischen 18 und 22 Uhr an den Festival-Tagen kann dort die Ausstellung “ARTIFICIAL REALITY – VIRTUAL INTELLIGENCE” besichtigt werden. Außerdem gibt es Sonderveranstaltungen wie eine Filmvorführung und einen Rave im digitalen Raum.
Kuratiert wird der Garden von zwei uns bekannten Wissenschaftlern: Andreas Ingerl und Moritz Schell von der HTW Berlin, mit denen wir bereits im Rahmen der Berlin Design Week gesprochen hatten. Die Kooperation mit der Ars Electronica ist eine Premiere für die beiden Wissenschaftler.
Andreas Ingerl: Wir hatten die Ars Electronica immer im Blick und hatten auch geplant, mit unseren Studierenden zum Ars Electronica Campus nach Linz zu fahren. In der Pressekonferenz hat das Festival dann dieses Jahr auch explizit Institutionen adressiert, also auch Hochschulen wie die HTW, um die Programme der Gardens zu kuratieren. Von unserem Draft und dann später auch vom Portfolio war die Festivalleitung Christl Bauer sofort begeistert und hat uns mit dem Projektmanagement vernetzt. Seitdem stehen wir in einem regen Austausch.
Moritz Schell: Hier ist uns natürlich die Pandemie zugute gekommen, die zu einer dezentralen Festival-Organisation und dem Konzept der Gardens geführt hatte.
Ähnlich unverkrampft wie die Bewerbungsphase läuft auch die tatsächliche Umsetzung des Gardens und der Ausstellung in Berlin ab. Das liegt vor allem daran, dass Andreas Ingerl und Moritz Schell im Studiengang Kommunikationsdesign mit ähnlichen Ansätzen und Ideen wie das Festival in Linz arbeiten.
Andreas Ingerl: Natürlich gibt es hier immer wieder Guides und Richtlinien, an die wir uns halten müssen. Aber es ist schon eher dialogisch und die Ars Electronica steht uns bei der Umsetzung in erster Linie beratend zur Seite.
„Mit unseren Studierenden wollten wir ausprobieren, was wir mit Technologien machen und diese umgekehrt mit uns.“
Moritz Schell: Das Thema der Hybridität war der Leitung sehr wichtig. Wir sollten nicht einfach eine Ausstellung machen, die dann coronabedingt wieder nur sehr begrenzte Zugänge bietet. Das Programm sollte dementsprechend auch digital erreichbar sein. Da hatten wir aber von Beginn an Konzepte in unserem Portfolio, wie einen Roboter, der sich von außen steuern lässt, oder einem gemeinsamen Rave im virtuellen Raum. Das trifft den Nerv der Zeit und adressiert den Kern des Festivals. Mit Themen wie Virtual Reality oder Künstliche Intelligenz beschäftigen wir uns natürlich auch im Studium immer wieder und haben diese in unsere Design-Disziplinen integriert.
Herzstück des Berliner Gardens in den Reinbeckhallen ist die Ausstellung “ARTIFICIAL REALITY – VIRTUAL INTELLIGENCE”. Sie zeigt ausgewählte Exponate der Studierenden des Studiengangs Kommunikationsdesign an der HTW. Ihr gemeinsamer Nenner ist die Frage, “wie Virtual Reality und Künstliche Intelligenz in Zukunft unsere individuell erfahrbare Umwelt und unser gesellschaftliches Zusammenleben beeinflussen werden.”
Andreas Ingerl: Die drei zentralen Exponate sind VR-Projekte, mit jeweils einer zusätzlichen Dimension. Z.B. Virtual Reality und Wahrnehmung und wie letztere durch erstere manipuliert werden kann – nicht nur im negativen Sinne. Mit unseren Studierenden wollten wir ausprobieren, was wir mit Technologien machen und diese umgekehrt mit uns; wie sie die Medienlandschaft verändern und wie sie Wahrnehmung und Realität beeinflussen. Dabei sind dann Projekte entstanden, die das gar nicht bewerten, sondern die den Besuchenden Erfahrungen in VR-Environments ermöglichen.
A New Deal for Design
Das Motto der diesjährigen Ars Electronica lautet “A New Digital Deal”. Da klingt natürlich die Pandemie an, die digitale Transformationsprozesse beschleunigt und damit auch die strukturellen Probleme der Digitalität verstärkt sichtbar gemacht hat. In der Forderung nach einem New Deal bzw. den Fragen nach Handlungsmöglichkeiten und -fähigkeiten in sozio-technischen Settings sind auch die Design-Disziplinen angesprochen, wie Andreas Ingerl und Moritz Schell erklären.
Moritz Schell: Design ist nicht nur eine Ästhetisierung von Oberflächen oder Interfaces. Design-Entscheidungen gehen viel tiefer. Im Fall einer Künstlichen Intelligenz geht es z.B. auch um die Frage nach dem Umgang mit Daten, also welche erfasst werden, wie sie gespeichert werden und wer Zugriff darauf hat. Auch das sind alles Design-Entscheidungen, die implizit in technischen Entwicklungsprozessen stecken. Das wollen wir unseren Studierenden klar machen und das findet sich dann auch in den Exponaten wieder.
Andreas Ingerl: Was ich in der Vorlesung lehre, geht weit über das hinaus, was die Studierenden im Alltag brauchen, um zu funktionieren und einen Job zu bekommen. Es ist mir aber wichtig, dass unsere Studierenden die Stellschrauben kennen und dass sie die auch ergreifen, wenn sie eine sehen. Da bilden wir nicht die bequemsten Menschen aus, aber das macht sie wertvoll, auch auf dem Arbeitsmarkt und für Agenturen, weil sie die Wünsche der Kund*innen zeitgemäß weiterentwickeln können.
Austausch und Sichtbarmachung
Die Ausstellung in den Berliner Reinbeckhallen zeigt drei zentrale Installationen, die alle während der letzten drei Semester im Studium Kommunikationsdesign unter Andreas Ingerl und Moritz Schell entstanden sind. Die Studierenden bringen dabei immer auch ihre eigenen Themen mit ein und stoßen Diskurse an. Die Nähe zur Ars Electronica ist also keinesfalls zufällig.
Moritz Schell: Ich sehe unsere Ausstellung durchaus in der Tradition der Ars Electronica, die sich ja nicht nur als Festival versteht, sondern als Forum für Austausch und Sichtbarmachung. Auch bei uns geht es um gesellschaftlich relevante Themen und Fragen, wie wir zukünftig zusammenleben wollen und welchen Einfluss Technik dabei haben wird. Die Studierenden bringen da mit ihren Arbeiten immer wieder solche Themen mit rein, wie z.B. Gleichberechtigung in Algorithmen. Solche Fragen sollen und müssen auch von Design adressiert werden. Natürlich immer im disziplinären Austausch.
Die Ars Electronica findet hybrid vom 8. bis 12. September in und Linz online statt.
Der Garden in den Berliner Reinbeckhallen und die Ausstellung “ARTIFICIAL REALITY – VIRTUAL INTELLIGENCE” öffnet an den Festival-Tagen jeweils zwischen 18 und 22 Uhr.
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