Ungerechte Förderstrukturen – Offener Brief des „Fair Share!“-Bündnisses

Die Corona-Pandemie hat die Geschlechtergerechtigkeit weit zurückgeworfen. Laut Weltwirtschaftsforum um gut 40 Jahre. Auch in der Kultur- und Kreativbranche ist das Problem massiv. In einigen Berufen liegt der Gender Pay Gap bei traurigen 39 %. Der Nachteil entsteht aber auch durch Ungerechtigkeiten in den Förderstrukturen für Kreativschaffenden. In einem offenen Brief des Bündnisses „Fair Share! Sichtbarkeit für Künstlerinnen“ werden diese Probleme angesprochen und mit konkreten Veränderungsvorschlägen bedacht.

Ungerechte Förderstrukturen – Offener Brief des „Fair Share!“-Bündnisses

Die Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung haben auch für die Gender-Parität nichts Gutes gebracht. Wie aus dem Global-Gender-Gap Report 2021 des Weltwirtschaftsforums hervorgeht, wird aufgrund der Rückschläge eine weitere Generation von Frauen* unter der Ungleichheit zu leiden haben. Schon vor der Pandemie wurde die Dauer bis zur realen Gleichheit der Geschlechter auf noch immer knapp 100 Jahre geschätzt. Nun sind es wieder über 130 Jahre.

Dass Frauen* stärker von der Pandemie betroffen sind als Männer*, hat mehrere bzw. unterschiedliche Gründe. Zum einen sind Frauen* vermehrt in Berufen tätig, die von der Krise betroffen sind, sodass mehr Frauen* ihren Job verloren haben als Männer*. Sind sie erstmal arbeitslos, ist es für Frauen* statistisch sehr viel schwieriger, einen neuen Job zu finden als für Männer. Sie werden weniger eingestellt und bleiben also statistisch länger arbeitslos. Das gilt auch für ihre Aufstiegschancen. Frauen* werden sehr viel langsamer befördert, weshalb  Karrieren schwieriger sind. Der Verlust des Jobs verringert so die Chance auf beruflichen nachhaltig.

Keine Geschlechtergerechtigkeit bei Kreativen

Obwohl die Kreativbranche als aufgeklärt und progressiv gilt, ist auch hier Geschlechtergerechtigkeit weit entfernt davon realisiert zu sein. Laut der Studie “Männer und Frauen im Kulturmarkt” aus dem Jahre 2020 stellt ein deutlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern fest. Dies betreffe dem Bericht zufolge nicht nur Unterschiede bei Honoraren und Gehältern, sondern auch die Vergabe von Stipendien und Preisen sowie die Besetzung von Führungspositionen in Kultureinrichtungen. Besonders heftig zeigt sich das sogenannte Gender Pay Gap bei Freiberuflerinnen. So erhalten freie Theaterregisseurinnen im Schnitt 39 % weniger als die männlichen Kollegen. Bei höher qualifizierten Angestellten in der Theater- und Filmproduktion sind es im Schnitt 26 %.

Die Corona-Pandemie hat die Ungleichheit auch hier noch verschärft. Das liegt auch daran, dass Frauen* schwieriger an Förderungen und Hilfen kommen als Männer*. In einem offenen Brief an die staatlich finanzierten Förderanstalten fordert das Bündnis “Fair Share! Sichtbarkeit für Künstlerinnen” nun Geschlechtergerechtigkeit in der Fördermittelvergabe.

„Insgesamt trägt die Corona-Pandemie zu einer Retraditionalisierung der Geschlechterverhältnisse in den Künsten bei.“

Das Bündnis besteht aus 13 Organisationen und Initiativen aus dem Bereich der Kreativbranche. Darunter Pro Quote Film, Pro Quote Bühne, Writing with CARE/RAGE und Mehr Mütter für die Kunst. Sie fordern eine generelle Quote bei der Vergabe von Fördermitteln sowie eine Anpassung der Förderstrukturen hinsichtlich der Berücksichtigung der Care-Taker. Letztere sind Menschen mit Fürsorgepflicht, die also Kinder erziehen oder Angehörige pflegen müssen. Auch heute werden solche Aufgaben noch überdurchschnittlich oft von Frauen übernommen, die dadurch einen deutlichen Karrierenachteil haben.

Care-Taker werden disqualifiziert

© Lindsey Lamont

Die Benachteiligung von Menschen mit Care-Verpflichtung ist ein großes Problem. Viele Stipendien richten sich an jüngere Menschen, sodass die Förderphase mit dem Lebensabschnitt zusammenfällt, in dem Frauen* häufig Kinder bekommen. Dadurch können sich diese nicht auf dieselbe Weise auf dem Markt etablieren, wie Menschen ohne Care-Verpflichtung: “Es darf nicht sein, dass Menschen wegen ihrer Elternschaft oder weil sie andere Care-Arbeit leisten disqualifiziert werden”, bringt es der offene Brief auf den Punkt.

Das Bündnis spricht die Förderanstalten direkt an und macht diese auf ihre Verantwortung, aber auch ihre Macht aufmerksam, im Rahmen der Fördermittelvergabe aktiv etwas gegen diesen Missstand unternehmen zu können. In dem offenen Brief formuliert es konkrete Vorschläge in fünf Bereichen.

1) Gendergerechte Verteilung der Fördermittel:

50% sollen an Frauen* gehen. Wo mehr Frauen* arbeiten und sich dementsprechend auch mehr auf Förderung bewerben, wie in der freien Theaterszene, soll die Fördervergabe dieses Verhältnis repräsentieren, also sollen hier mehr als 50% an Frauen* gehen. Hier geht es aber auch um die Auswahlgremien, die geschlechtergerecht besetzt sein sollten.

2) Care-Taker dürfen bei der Förderung nicht benachteiligt werden: 

Das bedeutet nicht nur, die Altersbeschränkungen aufzuheben, sondern auch die Mehrkosten, die durch die Fürsorgepflicht entstehen, mit in das Budget aufzunehmen.

3) Wiedereinstieg für Care-Taker ermöglichen:

Das Bündnis fordert hier extra Förderungen und Stipendien für Menschen, die nachweisliche Care-Arbeit geleistet haben.

4) Stipendien sollen Kinderfreundlich werden: 

Viele Stipendien sind so aufgebaut, dass Kinder nicht vorgesehen oder gar verboten sind. Die Förderbedingungen sollten Kinder nicht ausschließen, sondern klar berücksichtigt werden.

5) Transparenz in den Förderentscheidungen: 

Öffentlich finanzierte Einrichtugnen sollten die Gewichtung der Förderung aller Geschlechter wie auch den Faktor Fördersumme offen legen.

Mit dem Brief weisen Künstlerinnen* auf die Missstände hin, die zu den massiven Ungleichheiten in der Kultur- und Kreativwirtschaft führen. Die Adressat*innen des Briefes, die staatlich finanzierten Förderanstalten, sollen für ihre Rolle sensibilisiert werden: “Als fördernde Institution haben Sie die Möglichkeit, bewusst diesen Missständen entgegenzuwirken und Care-Taker aktiv zu unterstützen. Mit klugen Fördermodellen können Sie so dazu beitragen, den Gender Show Gap, Gender Pay Gap und die Altersarmut unter Künstlerinnen* zu beseitigen!”

Ungleichheit ist ein strukturelles Problem und muss gesamtgesellschaftlich angegangen werden. Oft fehlt es aber schlicht an Wissen, an welchen Stellschrauben es zu drehen gilt, oder an der Kreativität, wie Dinge geändert werden könnten. Briefe wie der des Bündnisses “Fair Share!” zeigen auf, wo etwas geändert werden muss und erhöhen so das Problembewusstsein. Der freundliche Ton ist angenehm und allzeit lösungsorientiert. Er hält keine vermeintlichen Fehler vor, sondern versucht Veränderungen bei denen anzustoßen, die diese tatsächlich umsetzen können.

Den offenen Brief zum Download gibt es hier.


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