Kulturelle Vielfalt ist kein Gespenst, das aus den linken Nischen des Internets heraufbeschworen wurde. Sie ist Realität. Der Begriff bezeichnet die Anwesenheit unterschiedlicher Identitäten und Kulturen in unserer Gesellschaft. Damit sind u.a. Religion und Weltanschauung, sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität sowie biologisches Alter und körperliche Fähigkeiten angesprochen. So gesehen bezeichnet sie einen Wert, der statistisch erhoben werden kann. Und obwohl sich Deutschland einer großen Vielfalt erfreut, ist diese nicht überall gleichermaßen sichtbar. In den großen Städten wie Berlin oder Hamburg sicherlich etwas mehr, in ländlichen Gebieten womöglich etwas weniger.
Mehr Sichtbarkeit gegen Vorurteile
Sehr häufig wird kulturelle Vielfalt entlang von Migrationsthemen verhandelt. Je mehr Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland leben, je größer die kulturelle Vielfalt. Das ist zwar nicht ganz falsch, reduziert den Begriff jedoch auf die Anwesenheit anderer Kulturen, während andere Merkmale wie sexuelle Orientierung, biologisches alter oder körperliche und geistige Fähigkeiten nicht angesprochen werden. Diese Reduzierung lässt sich auf die Bemühungen politisch konservativer und rechter Parteien und Bewegungen zurückführen. Diese versuchen kulturelle Vielfalt im Sinne des „Fremden“ als Gegenspielerin zu einer „Deutschen Kultur“ zu positionieren und insofern zu verunglimpfen.
Gegen solch problematische Übernahmen und Reduzierungen des Vielfalt-Begriffs hilft Sichtbarkeit. Je stärker Menschen mit anderen Identitäten und Kulturen konfrontiert sind, umso weniger Vorurteile werden sie diesen gegenüber haben und umso offener werden sie ihnen begegnen. Und hier geht es nicht nur um die Realität vor der eigenen Haustür, sondern auch um die Sichtbarkeit in den Medien.
„Die Stärke einer Demokratie misst sich im Umgang mit ihren Minderheiten.“
„Die Stärke einer Demokratie misst sich am Umgang mit ihren Minderheiten.“, heißt es im Manifest für ein plurales, postmigrantisches Deutschland der Neuen Deutschen Organisationen. Ein wichtiger Teil dieses Umgangs ist die mediale Repräsentation von Minderheiten.
Mediale Darstellungen sollen zwar einerseits unsere Realität abbilden. Wechselseitig formen sie diese aber auch. Angenommen ich lebe in einer Nachbarschaft, wo alle augenscheinlich so sind wie ich und demselben Kulturkreis angehören. Wenn ich zusätzlich ausschließlich Medienangebote konsumiere, die mir dieses homogene Bild ebenfalls zeigen und bestätigen, werden andere Identitäten und Kulturen für mich nicht über den Status des „Fremden“ hinauskommen. In diesem leeren Raum des „Fremden“ können Angst und Ablehnung gedeihen.
Vielfalt schaffen mit Kultur und Kreativität
Die mediale Repräsentation der kulturellen Vielfalt ist also enorm wichtig für unser Zusammenleben und dem Umgang mit all den unterschiedlichen Weltanschauungen und Lebensweisen. Sie spielt eine wichtige Rolle auf dem Weg in eine Gesellschaft, wo alle Menschen dieselben Chancen haben.
Die Kultur- und Kreativbranche nimmt hier eine wichtige Rolle ein, da sie einen großen Teil der medialen Inhalte produziert. Sie gilt als offen, dynamisch und zeitgeistig, pflege einen Austausch mit marginalisierten Gruppen und Communities und gebe ihnen eine Stimme. Auch die Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, teilt diese Einschätzung und hebt nicht nur die Wirtschaftskraft der Kultur- und Kreativwirtschaft hervor, sondern auch ihre Rolle bei der Schaffung kultureller Vielfalt in Deutschland.
Aber stimmt dieses Bild überhaupt oder ist die Kultur- und Kreativwirtschaft wie jede andere auch von gesellschaftlichen Stereotypen geprägt, die sie in ihren Arbeiten reproduziert und in die Gesellschaft verlängert?
Die Filmbranche hat ein strukturelles Problem
Die Befragung „Vielfalt im Film“ wurde im Sommer 2020 vom gleichnamigen Bündnis durchgeführt, um Daten hinsichtlich Vielfalt und Diskriminierung vor und hinter der Kamera in der deutschsprachigen Film- und Fernsehbranche zu erhalten. Am Ende nahmen über 6.000 Filmschaffende aus 440 Berufen an der Befragung Teil. Die Ergebnisse sind etwas ernüchternd.
Von knapp 5.500 Fragebögen, die in die Auswertung gekommen sind, haben über 3.200 Angaben zu Diskriminierungserfahrungen gemacht. Die häufigsten darunter bezogen sich auf Geschlecht, Alter und rassistische Zuschreibungen. Nur ein Drittel haben solche Vorfälle gemeldet. In den Ergebnissen wird nicht von einem individuellen, sondern einem strukturellen Problem in der deutschsprachigen Film- und Fernsehbranche gesprochen.
Schauspielende werden nicht nur hinter der Kamera Opfer von Diskriminierungen, sondern auch davor. So müssen beispielsweise People of Colour sehr oft in stereotypisierte Rollen schlüpfen, in denen sie schlecht Deutsch können oder den*die Drogendealer*in im Park spielen müssen. So schlagen ihnen nicht nur genau die Stereotype auch am Set entgegen, mit denen sie ohnehin zu kämpfen haben, sie müssen diese Vorurteile auch noch reproduzieren und geben ihnen eine Bühne.
Die Teilnehmenden der Befragung wurden um ihre Einschätzung gebeten, wie klischeehaft bestimmte Merkmale wie Herkunft, sozialer Status oder sexuelle Identität vor der Kamera dargestellt würden. Am deutlichsten fielen die Antworten im Fall “Arabischer Menschen” aus: 87,5% gaben hier an, dass diese klischeehaft dargestellt würden. Kurz dahinter “Muslimische Menschen” und “Sinti und Roma”. Möglicherweise zeigt sich auch hier die vereinfachte Vermengung von kultureller Vielfalt und Migration.
Für die Betroffenen ist es fast unmöglich, einen Stereotyp zu überwinden, wenn sie in einer Gesellschaft stetig damit konfrontiert und dementsprechend bevorurteilt werden. Dadurch wird ein kultureller Austausch auf Augenhöhe verhindert, weil Stereotype immer das Fremde markieren und großzügig ausstaffieren. Kulturelle Vielfalt sichtbar zu machen meint nicht, Klischees und Vorurteile medial zu reproduzieren, sondern genau diese durch nicht-stereotypisierte Darstellungen zu bekämpfen.
Diversität als Maskottchen
Die öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Rundfunkanstalten haben von politischer Seite her den Auftrag, die gesellschaftliche Vielfalt abzubilden. Wer sich Sendungen wie „Traumschiff“ oder „Die Rosenheim Cops“ anschaut, wird von dieser Vielfalt allerdings nichts finden. Hier wird eine weiß-heteronormative Welt dargestellt. Weichen Charaktere davon ab, werden sie – wie auch “Vielfalt im Film” zeigen konnte – klischeehaft dargestellt und ihre „Fremdartigkeit“ wird explizit zum Thema. In weiten Teilen des Programms der öffentlich-rechtlichen Sender wird die Aufgabenstellung großräumig verfehlt. ARTE ist hier das wohl einzige positive Beispiel, wie es auch anders gehen könnte.
Doch inzwischen ist auch den öffentlich-rechtlichen Sendern bewusst, dass das Thema Vielfalt und deren mediale Repräsentation kein kurzer Trend war, den sie einfach aussitzen können. Bei einer Talk-Runde auf den Medientagen München 2020 sagte Christoph Pellander, Abteilungsleiter Redaktion und Programm-Management der ARD Degeto: „Es bewegt sich schon was. Aber wir müssen auch noch Hausaufgaben machen. Ziel ist es, möglichst alle Zuschauer[*innen]gruppen zu erreichen.“
ARD Degeto zeigt sich verantwortlich für die Serie „All You Need“, die aktuell in der ARD-Mediathek zu sehen ist . In den Hauptrollen der Dramedy-Serie sind vier schwule Cis-Männer, die aus ganz unterschiedlichen sozialen Settings kommen. Wie es im Text zur Sendung heißt, verbindet sie “Die Suche nach Liebe und Geborgenheit”. Für die ARD ist das ein großer Schritt. Aber zu groß sollte er dann auch nicht sein, da die Serie bisher nur in der Mediathek läuft. Dabei wäre es gerade wichtig, dem im Vergleich zur Mediathek älteren Publikum des Hauptprogramms Alternativen zur weiß-heteronormativen Welt der “Rosenheim Cops” zu präsentieren.
Regisseurin und Autorin Soleen Yusef, die für Amazon Prime „Deutschland 86“ und für Netflix die Serie „Skylines“ geschrieben hat, sagte: „Die Türen stehen jetzt weiter offen als vorher. Es reicht aber nicht, Diversität als Maskottchen einzusetzen. Es ist wichtig, dass Menschen mit Migrationshintergrund auch mit am Tisch sitzen.“
„Es gibt keinen typisch deutschen Zuschauer.“
Bei den Streaming-Plattformen wie Netflix und Prime wird schon länger eine globale Strategie verfolgt. „Es gibt keinen typisch deutschen Zuschauer“, sagte Rachel Eggebeen, zuständig für die deutschsprachigen Netflix-Produktionen. „Je mehr Menschen du in deinen Inhalten repräsentierst, desto mehr schauen es auch.“ So tauchen bei Netflix Menschen aus marginalisierten Gruppen nicht nur als Maskottchen oder Problemfall auf. Ihre Präsenz wird in Haupt- und Nebenrollen zur Selbstverständlichkeit.
Die Bedeutung kultureller Vielfalt steht mittlerweile auch auf der Agenda von Unternehmen. Und das in zweierlei Hinsicht. Zum einen gibt es vermehrt Studien, die aufzeigen, dass heterogene Teams effektiver arbeiten und größere Erfolge erzielen, was die Einstellungspolitik verändert. Zum anderen ist das Image vor allem bei jüngeren Menschen ein wichtiger Marketing-Aspekt, der über den Erfolg von Unternehmen und Produkte entscheiden kann. So ist kulturelle Vielfalt auch in der Werbung ein wichtiges Thema, wo es wieder auf den Tischen der Kreativschaffenden liegt.
Social-Washing in der Werbung
Ein erfolgreiches Beispiel ist der US-Konzern P&G, der in den letzten Jahren sehr aktiv auf kulturelle Vielfalt und Anti-Diskriminierung als Werbestrategie gesetzt hat. Ergebnis sind ein positives Image und ein gesteigerter Umsatz. Auch hier in Deutschland nimmt die Sichtbarkeit von kultureller Vielfalt in der Werbung zu. Das ist zwar einerseits gut, auf der anderen Seite handelt es sich oft nur um sogenanntes Social-Washing. Hier geht es also nur um die Verbesserung des Image und spiegelt nicht die Unternehmensrealität wider. Das kommt gerade dann zum Vorschein, wenn es aufgrund mangelnder Sensibilität und Expertise zu Fehltritten kommt, wie z.B. bei H&M vor drei Jahren oder letztes Jahr bei VW. Statt gesteigerten Umsatzzahlen gibt es dann einen Shit-Storm, der das Gegenteil des gewünschten Effekts bewirkt.
Für Kreativschaffende kann es sich durchaus lohnen, im Bereich kultureller Vielfalt eine gewisse Expertise und Sensibilität mitzubringen. Denn nicht selten sind es ihre Produkte, die zur Sichtbarmachung beitragen. Leider schützt das die Kreativschaffenden nicht, selbst Opfer von Diskriminierung zu werden. Außerdem sind auch Kreativschaffende noch zu oft mit weiß- und heteronormativ-dominierten Hierarchien und Machtstrukturen konfrontiert, die das verhindern, was wir so dringend brauchen.
Das Mediale beeinflusst unseren Blick auf die Welt und kann dafür entscheidend sein, ob wir anderen Identitäten und Kulturen “fremd” und feindlich oder offen und freundlich begegnen. Dafür ist es wichtig, dass wir einen offenen Dialog mit den Betroffenen von Diskriminierungen führen und diese mit an die Tische der Entscheidungen holen. Nicht nur in der Kreativbranche, sondern immer und überall.
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