Die Verschärfungen im Infektionsschutzgesetz, die als sogenannte “Bundesnotbremse” bekannt geworden sind, gelten seit dem 24. April und führen zu großen Sorgen in der Kultur- und Veranstaltungsbranche. Aufgrund dieser Entwicklungen haben wir Stephan Hengst von der Berlin Music Commission (BMC) in unser Podcast-Studio eingeladen. Durch seine Arbeit bei dem Interessenverband für die Berliner Musikwirtschaft, weiß dieser, wie es um die Branche steht und was die Verschärfungen bedeuten könnten. Seine wichtigste Forderung ist, die Veranstaltungsbranche nicht als Teil des Problems zu sehen, sondern sie aktiv bei politischen Entscheidungsprozessen mit einzubeziehen.
Die “Bundesnotbremse” gibt bundesweit einheitliche Regelungen und Maßnahmen vor, die die Länder bei einem bestimmten Infektionsgeschehen umsetzen müssen. Das Infektionsgeschehen wird anhand der 7-Tage-Inzidenz bewertet. Überschreitet diese in einer Stadt oder einem Kreis an drei Tagen infolge den Wert 100, müssen die Maßnahmen umgesetzt werden. Darunter fällt auch die Einstellung des kompletten Kulturbetriebs, sodass Open-Air-Veranstaltungen unmöglich werden.
Nach Drinnen gebremst
Die Kritik aus dem Kultur- und Kreativsektor ist dementsprechend groß. “Ohne Kultur verliert man die Hoffnung.”, kritisierte Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats. Es brauche ein Mindestmaß an Kulturangeboten, um das Virus gemeinsam zu bekämpfen, heißt es in der Pressemitteilung. Doch genau dieses Mindestmaß an Kultur verunmöglicht die “Bundesnotbremse”, die die Menschen wieder verstärkt in die Innenräume dränge, wie Lutz Leichsenring von der Berlin Clubcommission monierte.
Seit vielen Monaten arbeiten die Branche und ihre Interessenverbände wie die BMC an sicheren Veranstaltungskonzepten. Erfolgreiche Modellversuche wie in Berlin oder Barcelona zeigen, dass diese auch funktionieren und das Infektionsgeschehen nicht negativ beeinflussen. Für Stephan gibt es daher keinen Grund, dass Veranstaltungen mit Test-, Abstands- und Hygienekonzepten nicht stattfinden sollten.
Die Arbeit von Stephan und der BMC besteht in der Vernetzung des Kultur-, Kreativ- und Veranstaltungssektors. Dies ist enorm wichtig, um als politischer Player wahrgenommen zu werden und Forderungen mit geeinter Stimme platzieren zu können, wie uns Jana Scheffert erklärte. Die BMC arbeitet mit vielen der Berliner Senatsverwaltungen zusammen und hat hier mittlerweile auch ein sehr gutes Standing, ähnlich wie die Berlin Clubcommission. Doch an einer Instanz scheitert die erfolgreiche Interessenvertretung: an der Senatsverwaltung für Gesundheit.
Fehlende Fehlbedarfsfinanzierung
Dabei könnten sich laut Stephan Hengst die guten Konzepte, die im Laufe der Pandemie entwickelt wurden, sogar positiv auf das Infektionsgeschehen auswirken. Denn wer zu einer Veranstaltung gehen möchte, muss sich vorher testen und erfährt so sehr viel schneller von einer möglichen Infektion, die sonst noch Tagelang unentdeckt geblieben wäre. Diese Daten könnten Veranstalter*innen den Gesundheitsämtern zur Verfügung stellen. Und zum anderen könnte so das Problem nicht-angemeldeter Partys und Raves ohne Hygienekonzept und Maskenpflicht eingedämmt werden, die das Infektionsgeschehen immer wieder anheizen. Dafür braucht es jedoch professionell durchgeführte Alternativangebote.
“Wer hat denn große Menschenmassen im Griff, wenn nicht wir als Veranstalter*innen! Wir schaffen es sonst auch, 80.000 Leute sicher durch ein Festival zu schleusen.”
Um Alternativangebote auf den Weg zu bringen, brauchen Veranstalter*innen Perspektiven zu möglichen Öffnungen und finanzielle Sicherheit bei der Planung. Schon früh hat Olaf Scholz hier Regelungen zur Fehlbedarfsfinanzierung angekündigt, die jedoch bis heute nicht auf den Weg gebracht wurden. Diese sollen Veranstalter*innen vor Umsatzeinbußen schützen, die pandemiebedingt entstehen. So wie die Mehrkosten des Hygienekonzepts bei gleichzeitig verminderter Teilnehmer*innenzahlen aufgrund der Abstandsregeln. Diese Zusage müsse schnellstens umgesetzt werden, damit der Veranstaltungssektor handlungsfähig bleibt.
Aufgrund seiner Arbeit kennt Stephan beide Seiten; die der Kultur- und Kreativbranche, wie auch die der Politik. Im Gespräch mit Timm erklärt er, warum es für alle Beteiligten so wichtig ist, die Perspektive der jeweils anderen Seite zu verstehen und an einem Strang zu ziehen.
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