Lange galt Kreativität als die menschliche Eigenschaft bzw. Fähigkeit, die sich nicht in die Logik von Nullen und Einsen überführen ließ und dementsprechend auch nicht von Maschinen übernommen werden konnte. Heute wissen wir es besser. Im Fall von Zahlen und Logik ist es uns Menschen noch relativ leicht gefallen, diese den Maschinen anzuvertrauen. Bei der Kreativität ist das anders. Sie berührt den Bereich der Identifikation als fühlendes Wesen und liefert so sehr viel mehr Stoff für dystopische Vorahnungen.
Dabei mehren sich zur Zeit die Beispiele von künstlichen Intelligenzen, die Kunst, Musik oder Design hervorbringen. Die Ergebnisse dabei sind so gut, dass sie sich nicht von denen der Menschen zu unterscheiden scheinen. So wird aus alten Steinmetzzeichen digitale Kunst, aus der Discografie von Taylor Swift wird – nun ja – ein Taylor Swift Song und aus Fotos werden Kunstwerke, immer im gewünschten historischen Stil. Aktuell sind es noch eher technische Experimente, die von StartUps, Tech-Firmen oder Universitäten durchgeführt werden. Deren Erfolg ist jedoch so groß, dass KI-Kunstwerke auch schon versteigert wurden, was sehr knifflige Fragen des Urheberrechts aufwirft
Real-technische Konturen künstlicher Kreativität
Doch was zum einen erstaunlich anmuten mag, ist tatsächlich – nun ja – logisch. Denn alle bekannten Beispiele maschineller Kreativität wurden von Algorithmen verrichtet, die zuvor mit enormen Datenmengen menschlichen Kreativ-Schaffens gefüttert wurden. Gewissermaßen erkennen die KIs je nach Aufgabenstellung ein Muster in den Daten, aus dem sich immer wieder neuer Content erzeugen lässt, der dem alten ähnelt, aber nicht gleicht. Ob es sich hier schon um Kreativität oder noch um technische Reproduktion handelt oder ob eigentlich beide Phänomene demselben Schema folgen, ist aber eher eine Frage für die Kulturwissenschaft.
Was aber bedeutet das für die Kreativbranche? Dass eine KI im Internet NFT-Art verkauft und sich selbst als Urheberin legitimiert, scheint noch einige Entwicklungszeit zu brauchen. Doch die Vorstellung bekommt so langsam real-technische Konturen. Der Graben zwischen menschlicher und maschineller Kreativität scheint kleiner zu werden. Der Hologramm-Superstar Hatsune Miku und das erfolgreiche Digital-Model geben hier einen ersten Vorgeschmack, wie sich künstliche Kreativität vermarkten ließe.
Hatsune Miku
Hatsune Miku ist kein Mensch, sondern die Manga-Figur des japanischen Start-up-Unternehmens Crypton Future Media INC. Das hält sie jedoch nicht davon ab, weltweit ein Millionenpublikum zu begeistern und als Hologramm in ausverkauften Konzerthallen zu performen. Hinter der Mangafigur steht (noch) keine künstliche Intelligenz, sondern der Software-Synthesizer Vocaloid der Firma Yamaha, mit dem synthetischer Gesang erzeugt werden kann. Hatsune Miku ist eine Software, die auf dem Vocaloid läuft. Mit dieser können die User*innen Songs schreiben und von Hatsune Miku singen lassen. Die Community hat mittlerweile über 100.000 Songs und Videos produziert, von denen eine Auswahl auf den öffentlichen Konzerten gespielt werden. Diese finden 2021 aber wohl nur im Stream statt.
Es handelt sich bei Hatsune Miku also um einen Cyber-Star, der von einer weltweit aktiven Kreativ-Community konstruiert und mit Leben erfüllt wird. Im Jahr 2012 beschloss Crypton Future Media INC., die „Creative Commons License CC BY-NC“ an die Originalillustrationen von Hatsune Miku anzupassen, um offene kreative Aktivitäten auf der ganzen Welt zu unterstützen und zu fördern. Für die Fans von Hatsune Miku wurden Medienplattformen erstellt, auf dem User*innen zusammenarbeiten und sich austauschen können.
Die bessere Alexa?
Seit letztem Jahr ist auch eine Figur von Hatsune Miku für zu Hause auf dem Markt. Die Figur funktioniert mit einer fixen Spracherkennungssoftware, die auf einzelne Schlüsselwörter reagiert. Zu jedem Wort wird eine passende Videosequenz abgespielt. Im Innenleben der Figur befindet sich ein Kurzdistanzprojektor, der ein Bild nach vorne projiziert. Neben der Spracherkennung kann Hatsune Miku auch Haushaltsfunktionen, wie die Bedienung von Licht und die Schlossverriegelung, steuern. Eine richtige Konversation kann man mit dem Manga zwar nicht führen, dennoch hat ein Japaner diese Figur bereits geheiratet und führt eine Beziehung mit ihr.
Die japanische Firma hat es sich zum Ziel gemacht, dass Hatsune Miku mit genauso viel Daten gefüttert wird wie Alexa. Zusammen mit dem NTT-Forschungsinstitut und dem Unternehmen Dwango versuchen die Erfinder*innen die künstliche Intelligenz der Manga-Spielfigur zu optimieren und zu trainieren. Mithilfe eines Online-Analogspiels von Fans und der Manga-Figur konnten 20.000 Gesprächszeilen auf dem Server gespeichert werden, auf welche die Figur später zurückgreifen kann. Demnächst soll Hatsune Miku auch als virtuelle Influencerin auf Instagram zu sehen sein.
Miquela
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Hatsune Miku wäre nicht die erste nicht-menschliche Influencerin auf Instagram. Seit 2016 treibt Miquela Sousa aka Lil Miquela ihr Influencer-Unwesen auf Instagram und hat inzwischen über 3 Millionen Follower*innen. So wie Hatsune Miku ist auch Miquela nur ein Avatar und keine KI. Dahinter steckt in diesem Fall die Firma Brud, die die Aktivitäten von Miquela steuert, sodass es sich hier um sehr menschliches Marketing handelt und (noch) nicht um Algorithmen.
Miquela macht all das, was ihre menschlichen Influencer-Kolleg*innen auch machen. Sie posiert in gesponserten Klamotten, testet gesponserte Produkte und postet Selfies mit ihrem Partner Nick alias „Angel Boi“. Dass das alles nicht im herkömmlichen Sinne echt, sondern ausgedacht ist, stört ihre Follower*innen nicht; vielleicht weil die Grenze zwischen echt und inszeniert in den sozialen Medien ohnehin längst verschwommen ist.
Halb-brasilianische Pixel
Der Erfolg spricht für sich. Miquela hat Aufträge von Calvin Klein, Prada und Supreme; außerdem promotete sie ein Smartphone von Samsung sowie den Streamingdienst Spotify. Der Erfolg gelingt ihr aufgrund ihrer Aktivität in den sozialen Medien, der sie echt und authentisch erscheinen lässt, was wiederum zeigt, dass diese Begriffe im Web etwas anders funktionieren als in der analogen Welt.
Zu Beginn gab es viel Diskussion darüber, ob Miquela eine echte Person sei oder nur ein remote-gesteuerter Avatar. Denn da ohnehin alle Bilder in den Sozialen Medien bearbeitet sind, fiel es auf den ersten Blick gar nicht auf, dass die Pixel der 19 jährigen Halbbrasilianerin nie etwas anderes als Pixel waren. Offiziell wurde die Sache erst, als ein weiterer nicht-menschlicher Influencer die wahre Herkunft von Miquela geleakt und veröffentlicht hatte. Ein genialer Marketing-Coup!
Da Miquela Musikerin ist, gibt es natürlich auch Musik von ihr, die von dem Brud-CEO Trevor McFedries aka Young Skeeter produziert wird. Wer hinter der Stimme steckt und ob es sich hier auch um eine Software wie bei Hatsune Miku handelt, ist unklar.
Die Zukunft der künstlichen Intelligenz?
Die künstliche Intelligenz macht enorme Fortschritte und zeigt uns, dass sie auch Creative-Content erzeugen kann, wenn ihr nur die richtige Menge an Daten und hochentwickelte Algorithmen an die Hand gegeben werden. Hatsune Miku und Miquela sind keine KIs. Aber sie liefern den technischen und sozialen Rahmen, in dem die KIs der Zukunft agieren könnten. Denn das, was heute noch die Community von Hatsune Miku oder die Firma hinter Miquela erledigen, ließe sich theoretisch demnächst an Algorithmen delegieren, die ohnehin besser wissen, was allen gefällt.
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